GedichtGedichte

Das Gedicht „Abschied“ (vom Walde) stammt aus der Feder von Joseph von Eichendorff.

O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächt′ger Aufenthalt!
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäft′ge Welt,
Schlag noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt!

Wenn es beginnt zu tagen,
Die Erde dampft und blinkt,
Die Vögel lustig schlagen,
Daß dir dein Herz erklingt:
Da mag vergehn, verwehen
Das trübe Erdenleid,
Da sollst du auferstehen
In junger Herrlichkeit!

Da steht im Wald geschrieben,
Ein stilles, ernstes Wort
Von rechtem Tun und Lieben,
Und was des Menschen Hort.
Ich habe treu gelesen
Die Worte, schlicht und wahr,
Und durch mein ganzes Wesen
Ward′s unaussprechlich klar.

Bald werd ich dich verlassen,
Fremd in der Fremde gehn,
Auf buntbewegten Gassen
Des Lebens Schauspiel sehn;
Und mitten in dem Leben
Wird deines Ernsts Gewalt
Mich Einsamen erheben,
So wird mein Herz nicht alt.

Analyse

Das Gedicht „Abschied“ (1810; Epoche der Romantik) besteht aus 4 Strophen mit je 8 Versen. Das Reimschema ist [ababcdcd] also ein Kreuzreim.
Die geraden Verse sind sechssilbig und die ungeraden siebensilbig. Das Versmaß ist ein 3-hebiger Jambus. Die sechssilbigen Verse haben männliche, die siebensilbigen weibliche Kadenzen.

Inhalt / Zusammenfassung

Das lyrische Ich flüchtet in eine Phantasiewelt in Form eines Waldes, um dem hektischen Leben der Alltagswelt zu entgehen. Der Wald (als Symbol für Natur) dient als Schutz und Zufluchtsort vor der chaotischen und hektischen Welt und ist durch eine melancholische und sehnsüchtig Atmosphäre gekennzeichnet.

Hintergrund

Das Gedicht entstand im Sommer 1810, als Eichendorff mit seinem älteren Bruder Wilhelm von Berlin nach Wien zog um das Studium der Rechte fortzusetzen (er schloss es 1812 ab). Beide hatten die "Hoffnung" (oder vielleicht war es mehr der Wunsch der adligen Eltern) nach dem Bestehen des Examens in den österreichischen Staatsdienst treten zu können.

Veröffentlicht wurde das Gedicht im ersten Roman von Eichendorff "Ahnung und Gegenwart" (1812) ohne einen Titel, in der die Hauptperson Graf Friedrich eine Landschaft verlässt, in der er oft gedichtet hat und glücklich war. Er schreibt „O Täler weit, o Höhen“.
Übrigens: Ricarda Huch kritisierte anno 1902 den Roman mit den Worten „ein ungarer Brei und schwer genießbar.“ ;-).

"Abschied" wurde im Jahre 1843 von Felix Mendelssohn-Bartholdy mit dem Titel "Abschied vom Walde" vertont und wird bis heute von zahlreichen Männerchören auf der ganzen Welt gesungen.

 

Der spirituelle und kulturelle Wert des realen oder mythischen Waldes ist unbestritten; er wird oft symbolisch so interpretiert, dass er Himmel und Erde durch Äste, Stämme und Wurzeln verbindet. Der Name Brocéliande erinnert noch immer an die Druiden und ihre Magie. Nemeton war das keltische Wort, das sowohl Heiligtum als auch Wald bedeutete.
Noch lange nachdem man den Wald von Dodona der alten Griechen vergessen hatte, verglich man die Pfeiler der gotischen Kathedralen mit den Stämmen eines Waldes, dessen Äste die Bögen sind, die das Gewölbe stützen. Im letzten Jahrhundert murmelten viele deutsche Holzfäller ein kleines Entschuldigungsgebet zu dem Baum, den sie fällen wollten. In Indien ziehen sich die Sannyâsa in den Wald zurück und sammeln sich dort, wie es auch einige europäische Eremiten taten. In China befand sich auf bewaldeten Berggipfeln fast immer ein Tempel. In Japan ist der Wald, den einige Gärten widerspiegeln oder in Miniaturform symbolisieren, heilig, wie der Torii zeigt, der manchmal seinen Eingang wie den eines Tempels markiert.
Der Baum des Lebens ist in den Gründungsmythen der Waldländer, aber auch der entwaldeten Länder allgegenwärtig, mit einem zweideutig konnotierten Baum der Erkenntnis in der Bibel.

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