GedichtGedichte

Das Gedicht „Ännchen von Tharau“ stammt aus der Feder von Simon Dach.

Ännchen von Tharau ist, die mir gefällt;
Sie ist mein Leben, mein Gut und mein Geld.

Ännchen von Tharau hat wieder ihr Herz
Auf mich gerichtet in Lieb’ und in Schmerz.

Ännchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut,
Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut!

Käm’ alles Wetter gleich auf uns zu schlahn,
Wir sind gesinnet bei einander zu stahn.

Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein
Soll unsrer Liebe Verknotigung sein.

Recht als ein Palmenbaum über sich steigt,
Je mehr ihn Hagel und Regen anficht;

So wird die Lieb’ in uns mächtig und groß
Durch Kreuz, durch Leiden, durch allerlei Not.

Würdest du gleich einmal von mir getrennt,
Lebtest, da wo man die Sonne kaum kennt;

Ich will dir folgen durch Wälder, durch Meer,
Durch Eis, durch Eisen, durch feindliches Heer.

Ännchen von Tharau, mein Licht, meine Sonn,
Mein Leben schließ’ ich um deines herum.

Was ich gebiete, wird von dir getan,
Was ich verbiete, das läst du mir stahn.

Was hat die Liebe doch für ein Bestand,
Wo nicht Ein Herz ist, Ein Mund, Eine Hand?

Wo man sich peiniget, zanket und schlägt,
Und gleich den Hunden und Katzen beträgt?

Ännchen von Tharau, das woll’n wir nicht tun;
Du bist mein Täubchen, mein Schäfchen, mein Huhn.

Was ich begehre, ist lieb dir und gut;
Ich lass den Rock dir, du lässt mir den Hut!

Dies ist uns Ännchen die süßeste Ruh,
Ein Leib und Seele wird aus Ich und Du.

Dies macht das Leben zum himmlischen Reich,
Durch Zanken wird es der Hölle gleich.

Analyse

Das Gedicht „Ännchen von Tharau“ (1636; Epoche des Barock) besteht aus 17 Strophen mit je 2 Versen. Das Reimschema ist ein Paarreim. Das Versmaß ist ein Daktylus. Wortlehre: "schlahn" = schlagen / "stahn" = stehen.

Inhalt / Zusammenfassung

Anna Neander (1615 - 1689) war die Tochter des Pfarrers Martin Neander der in Tharau (heute Wladimirowo; einer Siedlung im Rajon Bagrationowsk in der russischen Oblast Kaliningrad) praktizierte. 1629 wurde sie zur Waise und wuchs bei ihrem Vormund in Königsberg auf. Es wird vermutet, dass sie dort den Dichter Simon Dach kennenlernte.

Anna heiratete 1636 den Pfarrer Johannes Partatius (und zu dieser Gelegenheit schreib Simon Dach das Gedicht). Das Paar zogen nach Trempen (Oblast Kaliningrad) und ließen sich 1641 im Bezirk Labiau (Ostpreußen) nieder, wo sie etwa 35 Jahre lang lebten. Ihr Mann starb 1646, und Anna heiratete seinen Nachfolger in der Gemeinde, Pfarrer Christopher Amt. Nach sechs Jahren starb auch ihr neuer Mann, und Anna heiratete den nächsten Pfarrnachfolger, Pfarrer Johann Beilstein. Heiraten dieser Art entsprachen damals dem Gedanken, die Pfarrerswitwe zu erhalten oder zu unterstützen.

Nachdem Anna ihren dritten Ehemann überlebt hatte, zog sie 1676 nach Insterburg in das Haus ihres ältesten Sohnes Friedrich Partatius, der damals Pfarrer der dortigen Kirche war, wo sie starb und auf dem örtlichen Friedhof beigesetzt wurde. Bis heute erinnert ein Denkmal in der Stadt an sie.

Hintergrund

Das Gedicht (Titel: "Anke van Tharaw"), wurde ursprünglich in samländischem Niederdeutsch verfasst. Im Jahr 1845 übersetzte Henry Longfellow das Gedicht ins Englische (Annie of Tharaw).

Eine erste Vertonung, die 1642 veröffentlicht wurde, stammt von Heinrich Albert. Das Gedicht wurde von Johann Gottfried von Herder in die damalige Form des Hochdeutschen übersetzt (und gekürzt) und 1778 in den Volksliedern unter dem Titel "Annchen von Tharau" veröffentlicht. Im Jahr 1827 unterstrich Friedrich Silcher diesen Text mit der heute allgemein bekannten Melodie.

Als eine Hommage auf das Werk von Simon Dach (1605 - 1659) schrieb der Österreicher Johann Gabriel Seidl (1804 - 1875) ein Gedicht mit dem selben Titel: Ännchen von Tharau.

Varianten

Die Standarddeutsche Fassung von Johann Gottfried Herder:

Ännchen von Tharau ist's, die mir gefällt.
Sie ist mein Reichtum, mein Gut und mein Geld.
Ännchen von Tharau hat wieder ihr Herz
auf mich gerichtet in Lieb und in Schmerz.

Ännchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut,
du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut.

Käm alles Wetter gleich auf uns zu schlahn,
wir sind gesinnt, beieinander zu stahn.
Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein
soll unsrer Liebe Verknotigung sein.

Ännchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut,
du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut.

Recht als ein Palmenbaum über sich steigt,
je mehr ihn Hagel und Regen anficht,
so wird die Lieb in uns mächtig und groß
durch Kreuz, durch Leiden, durch mancherlei Not.

Ännchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut,
du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut.

Würdest du gleich einmal von mir getrennt,
lebtest da, wo man die Sonne kaum kennt,
ich will dir folgen durch Wälder, durch Meer,
Eisen und Kerker und feindliche Heer.
Ännchen von Tharau, mein Licht, meine Sonn,
mein Leben schließ ich um deines herum.

 

Die originale Version von Simon Dach auf Niederdeutsch:

Anke van Tharaw öß, de my geföllt,
Se öß mihn Lewen, mihn Goet on mihn Gölt.

Anke van Tharaw heft wedder eer Hart
Op my geröchtet ön Löw’ on ön Schmart.

Anke van Tharaw mihn Rihkdom, mihn Goet,
Du mihne Seele, mihn Fleesch on mihn Bloet.

Quöm’ allet Wedder glihk ön ons tho schlahn,
Wy syn gesönnt by een anger tho stahn.

Kranckheit, Verfälgung, Bedröfnös on Pihn,
Sal vnsrer Löve Vernöttinge syn.

Recht as een Palmen-Bohm äver söck stöcht,
Je mehr en Hagel on Regen anföcht.

So wardt de Löw’ ön onß mächtich on groht,
Dörch Kryhtz, dörch Lyden, dörch allerley Noht.

Wördest du glihk een mahl van my getrennt,
Leewdest dar, wor öm dee Sönne kuhm kennt;

Eck wöll dy fälgen dörch Wöler, dörch Mär,
Dörch Yhß, dörch Ihsen, dörch fihndlöcket Hähr.

Anke van Tharaw, mihn Licht, mihne Sönn,
Mihn Leven schluht öck ön dihnet henönn.

Wat öck geböde, wart van dy gedahn,
Wat öck verböde, dat lätstu my stahn.

Wat heft de Löve däch ver een Bestand,
Wor nich een Hart öß, een Mund, eene Hand?

Wor öm söck hartaget, kabbelt on schleyht,
On glihk den Hungen on Katten begeyht.

Anke van Tharaw dat war wy nich dohn,
Du böst mihn Dühfkë myn Schahpkë mihn Hohn.

Wat öck begehre, begehrest du ohck,
Eck laht den Rack dy, du lätst my de Brohk.

Dit öß dat, Anke, du söteste Ruh’
Een Lihf on Seele wart uht öck on Du.

Dit mahckt dat Lewen tom Hämmlischen Rihk,
Dörch Zancken wart et der Hellen gelihk.

 

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