GedichtGedichte

Das Gedicht „Der Knabe im Moor“ stammt aus der Feder von Annette von Droste-Hülshoff.

O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt! –
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!

Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt, als ob man es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind –
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstische Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.

Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnenlenor',
Die den Haspel dreht im Geröhre!

Voran, voran! Nur immer im Lauf,
Voran, als woll es ihn holen!
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen,
Wie eine gespenstige Melodei;
Das ist der Geigemann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!

Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
„Ho, ho, meine arme Seele!“
Der Knabe springt wie ein wundes Reh;
Wär nicht Schutzengel in seiner Näh,
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwele.

Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war's fürchterlich,
O schaurig war's in der Heide.

Analyse

Das Gedicht "Der Knabe im Moor" (1842; Epoche des Biedermeier) besteht aus 6 Strophen mit je 8 Versen die durchgängig das Reimschema [abab cc ab] aufweisen.
Die ersten 4 Verse jeder Strophe sind im Kreuzreim [abab] verfasst, mit abwechselnd männlicher und weiblicher Kadenz. Die nächsten beiden Verse sind ein Paarreim [cc] mit männlicher Kadenz. Dann folgt wieder das Reimschema [ab].
Das Versmaß zeichnet sich durch einen Wechsel von Jamben und Anapästen (drei- und vierhebig) aus.

Inhalt / Zusammenfassung

Die Handlung dreht sich um einen Knaben, der im nächtlichen Dunkel auf dem Weg nach Hause am Moor vorbei kommt, und dieses durchqueren muss. Dabei erschrecken ihn die nicht ganz ungefährliche natürliche Umgebung, als auch die durch den Torfabbau verursachten Umweltbedingungen. Zudem verarbeitet sein Gehirn die Bedrohungen u.a. zu Geister-Gestalten bzw. zu realen Personen aus seiner Vergangenheit und er gerät in Panik. Zu guter Letzt sieht er jedoch das Licht einer Lampe die er kennt und ist dem Moor entkommen.

Etliche Verse beginnen mit „Das ist …“ oder „Da …“ und auch „Voran…“, was ein Gefühl von Unmittelbarkeit & Miterleben erzeugt. Dass die Ballade mit Ausnahme der letzten beiden Verse im Präsens verfasst ist, verstärkt diesen Effekt.

Hintergrund

Das Gedicht erschien zuerst 1842 in der Zeitschrift "Morgenblatt für gebildete Leser" (publiziert von 1807 bis 1865 in Stuttgart und Tübingen). Danach wurde es in der Sammlung "Gedichte" (1844) von Annette von Droste-Hülshoff im Abschnitt "Heidebilder", in dem es um die Wechselwirkung von Mensch und Natur geht, abgedruckt.
Das Manuskript trägt 3 verschiedene Überschriften: "Im Moor", "Das Kind" und schließlich "Der Knabe im Moor".

Eine kurze Erklärung einiger Begriffe aus dem Gedicht, die heute nicht mehr so verwendet werden, im Sinne der Wortlehre (Wortbedeutung).

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