GedichtGedichte

Das Gedicht „Der Lauf der Welt“ stammt aus der Feder von Friedrich von Hagedorn.

Unzählich ist der Schmeichler Haufen,
Die jeden Großen überlaufen,
So lang er sich erhält.
Doch gleitet er von seinen Höhen;
So kann er bald sich einsam sehen.
Das ist der Lauf der Welt.

Ein Dürftiger sucht seine Freunde:
Doch alle meiden ihn als Feinde;
Allein er erbet' Geld.
Sogleich erscheinen zehn Bekannten
Und zehn entbehrliche Verwandten.
Das ist der Lauf der Welt.

Ein Schulfuchs hofft mit dürren Gründen
Den Beifall aller Welt zu finden:
Allein er wird geprellt.
Mein Mädchen macht oft falsche Schlüsse:
Doch überzeugt sie mich durch Küsse.
Das ist der Lauf der Welt.

Ein freies Weib von zwanzig Jahren
Ist zwar in vielem unerfahren:
Doch, was sie sagt, gefällt.
Gebt ihr noch zwanzig Jahre drüber:
So hört man ihre Tochter lieber.
Das ist der Lauf der Welt.

Leander stimmet süße Töne,
Und singt und seufzet seiner Schöne,
Bis ihr das Ohr fast gellt.
Allein, eh' er recht ausgesungen,
Hat schon ein andrer sie bezwungen.
Das ist der Lauf der Welt.

Stax sucht am Montag Doris Küsse:
Am Dienstag find't er Hindernisse:
Am Mittwoch siegt der Held.
Am Donnerstag vergehn die Triebe:
Am Freitag sucht er neue Liebe.
Das ist der Lauf der Welt.

Cephise schwört: Sie will ihr Leben
Der stillen Einsamkeit ergeben,
Und höhnt was sich gesellt.
Drauf will sie sich durch Heirat adeln,
Und spricht zu allen, die sie tadeln:
Das ist der Lauf der Welt.

Ein Mädchen voller Weisheitsgründe
Hält jeden Kuß für eine Sünde,
Bis ihr ein Freund gefällt.
Hat dieser sie dann überwunden,
So sagt sie selbst in frohen Stunden:
Das ist der Lauf der Welt.

Wenn junge Witwen traurig scheinen,
Und in dem Mann sich selbst beweinen,
So ist es unverstellt.
Doch keine sieht den Trauerschleier
Mit größrer Lust, als einen Freier.
Das ist der Lauf der Welt.

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