GedichtGedichte

Das Gedicht „Der Schwätzer“ stammt aus der Feder von Friedrich von Hagedorn.

Jüngst, da ich mich, wie sonst, den Grillen überlasse,
Gerath ich ungefähr in die Mariengasse.
Ein Fremder, den ich nur dem Namen nach gekannt,
Läuft plötzlich auf mich zu, ergreift mich bei der Hand
Und spricht: »Wie geht's? Mon cher!« Noch ziemlich, wie Sie sehen;
Von Ihnen hoff' ich auch erwünschtes Wohlergehen.
Er folgt mir Schritt vor Schritt, und klebt mir lächelnd an.
Ist etwas, frag' ich ihn, womit ich dienen kann?
Er danket und versetzt: »Sie werden mich schon kennen,
Und Ihre Freundschaft mir, als einem Dichter, gönnen.«
Mein Herr, Sie sollen mir um desto werter sein.
Ich eil', ich stehe still, von ihm mich zu befrein,
Und raun', ich weiß nicht was, dem Diener in die Ohren;
Doch hier ist alle Müh' und alle Kunst verloren.
Mir bricht der Angstschweiß aus. O wie beneidenswert
Gedenk' ich, ist der Thor, der Thoren gerne hört!
Indessen strömt sein Mund von rauschendem Geschwätze;
Er lobt die schöne Stadt und nennt mir alle Plätze,
Die Brücken, jedes Thor, die Märkte, Wall und Wacht,
Und lehrt mich, wie der Lenz die Gärten lustig macht.
Ich schweig, er fähret fort: »Ist man so still? ich finde,
Daß die Begleitung Sie nicht sonderlich verbinde;
Allein, ich schlendre mit, und Sie erlauben mir
Für dies Mal kühn zu sein. Doch wohin gehen wir?«
Bemühen Sie sich nicht: ich kann mich nicht verweilen,
Und muß zu einem Freund, den Sie nicht kennen, eilen.
Er wohnet weit von hier, die Alster ganz vorbei,
Noch hinter Böckelmanns bekannten Gärtnerei.
»Ich habe nichts zu tun; was heißen tausend Schritte?
Im Gehen, glauben Sie's, bin ich ein rechter Britte.«
Mich krümm' ich, wie ein Pferd, das, bei zu schwerer Last,
Kopf, Maul und Ohren hängt, und seinen Treiber haßt.
Er räuspert sich und spricht: »Wahr ist's, sich selbst zu rühmen,
So sehr man sich auch kennt, das will sich nicht geziemen;
Doch prüfen Sie mich nur: ich wette, daß Ihr Freund,
Mit dem ein jedes Jahr Sie zärtlicher vereint,
Ich wette: Wilkens selbst, und Müller, den Sie lieben,
Und Carpser, und Borgeest, die sollen ihren Trieben
Nie so gefällig sein. Mich übt der Dichtkunst Flor.
Neun Musen stell' ich mir, so wie neun Kegel, vor.
Man wirft, und trifft doch Holz: es sei viel oder wenig.
Die Ecken schlägt man um, verfehlt man gleich den König.
Man ziele, dichte nur, und mische sich ins Spiele.
Werd' ich nicht episch groß, und bin ich kein Virgil;
Wohlan! so reim' ich schnell von tausend andern Dingen:
Mit einer Muse muß mir doch der Streich gelingen,
Erreich' ich Alle nicht. Ich tanze wie du Vall:
Das sah man auf dem Baum, bei dem Freimäurerball.
Finazzi singet gut: doch ich kann besser singen.«

Nunmehr gewann ich Zeit, ein Wörtchen anzubringen.
Hat keine Mutter nicht, kein Vetter, kein Geschlecht,
An Ihrem Wohlsein Teil, an Ihren Stunden Recht?
Sollt' ihrer keiner nicht Ihr Dasein nötig haben?
»Wir sprechen uns nicht mehr, denn alle sind begraben.«
O die sind wohl daran! nun trifft die Reihe mich,
Betäubte Märtyrer! Verfolge! Morde! Sprich!
Denn ach! die Stunde kömmt, die ich so lange scheute,
Die mir das alte Weib in Borstel prophezeite,
Als ich ein Knabe war, und sie mit dürrer Hand
Den Loostopf schüttelte, griff, mein Verhängnis fand,
Und mir den Ausspruch gab: Es wird ihn, merkt es eben!
Kein Arzt, kein Alchmist, kein Fahnenschmidt vergeben:
Ihn fällt kein Rauferschwert, kein Seitenweh und Gicht,
Das träge Podagra, die Schwindsucht tut es nicht.
Die größeste Gefahr wird er von Schwätzern leiden,
Und wird er alt und klug so muß er Redner meiden.

Wir waren, recht um zehn, wo man die Kirche schaut,
Die, Magdalene, dir Graf Adolph aufgebaut.
Da sollte nun mein Freund, mit Acten und Gebühren,
Selbst vor dem Richter stehn, und sonst sein Recht verlieren.
»Weil ich auf diese Zeit jetzt vorgeladen bin,
So,« spricht er, »gehn Sie doch mit mir zum Prätor hin,
Und hören, wie ich dort …« Ist mir das zuzumuten?
Kann ich Ihr Beistand sein? Versteh' ich die Statuten?
Und bin ich nicht versagt? »Nun werd' ich zweifelvoll,
Ob ich Sie, oder nicht mein Recht, verlassen soll?«
Mich, mich, mein Herr. »O nein!« Er rennt mir vor; ich schleiche,
Als im Triumph geführt, weil ich dem Stärkern weiche.

Geduld! Was hab' ich nun für Fragen auszustehn?
»Wie finden Sie den Brocks, Hammoniens Mäcen?«
Ich find' und ehr' in ihm den Weisen unsrer Zeiten;
Allein, er wird, daher, kein Freund von allen Leuten.
Er wählet, die er liebt, ist sinnreich ohne Tand,
Leutselig ohne Falsch, noch edler, als sein Stand,
Und ihn vergnügen nur die Würden, die er schmücket,
Wann er sein Vaterland und das Verdienst beglücket.
»Empfehlen Sie ihm den!« (Hier zeigt der Thor auf sich.)
»Ihr Mitgehilf', Ihr Rath, Ihr Hinterhalt werd' ich.
Ich sterbe, falls Sie mir die zweite Rolle geben,
Wenn wir nicht jeden dort bald aus dem Sattel heben.«
Sie irren ungemein in Ihrer Klügelei.
Vor andern ist sein Haus von solchen Ränken frei.
Der Liebling des Mercur, den Fleiß und Glück erhöhet,
Der Doctor, der sogar den Lycophron verstehet,
Verdrängen keinen nicht, der einem Brocks gefällt,
Der jeden, nach Verdienst, den Freunden zugesellt.
»Das ist was Seltsames. Sie scherzen.« Was ich sage,
Bestätiget gewiß die Wahrheit alle Tage.
»Ja, nun verehr' ich erst den weitberühmten Mann,
Und, kurz, ich ruhe nicht, bis ich ihn sprechen kann.«
Ihn sprechen fällt nicht schwer, wenn Sie es nur verlangen:
Ein so gescheidter Kopf wird immer wohl empfangen.
Und sollt' er anfangs auch nicht mehr als höflich sein,
So räumen Sie ihm Zeit, Sie g'nug zu kennen, ein.
Vielleicht verbirgt er sich im Reden und im Schweigen,
Sein hulderfülltes Herz nicht gar zu früh zu zeigen.
»Mir fehlt es nicht an Witz, wann ich geschäftig bin.
Sprech' ich ihn heute nicht, so geh' ich morgen hin,
Und übermorgen auch. Die Sache recht zu lenken,
Will ich den Diener selbst mit einem Vers beschenken.
Ich gebe gar zu gern. Er merkt mir schon den Tag,
Da er mich melden darf, und auch den Zeigerschlag.
Begegnet mir der Herr, so eil' ich ihm zur Seiten;
Ich will vom Rathhaus ihn bis an sein Haus begleiten,
Oft gegenwärtig sein: kraft eines Unterrichts,
Den jener Waidmann gab: Jagt; sonsten fangt ihr nichts.«

So sprach, doch nein! so schrie der unerschöpfte Schwätzer,
Als nun mein Liscow kam: (der Bruder von dem Ketzer,
Den noch Germanicus vielleicht dereinst bekehrt)
Der kannte meinen Mann und seinen ganzen Wert.
Wir bleiben also stehn. Indem wir uns befragen:
Woher jetzt, und wohin? und uns die Antwort sagen,
Zupf' ich ihn bei dem Arm, durch ihn mich frei zu sehn;
Doch der verstockte Schalk lacht und will nichts verstehn.
Ich wink' ihm, recht im Zorn, weil alle Winke fehlen.
Wie? wollten Sie mir nicht was insgeheim erzählen?
»Ja: etwas Wichtiges; allein zur andern Zeit,
Denn heute wird von mir der Nisan nicht entweiht.
Das auserwählte Volk aus Abrahams Geschlechte
Verzehrt sein Osterlamm und freut sich seiner Rechte.«
Die Scrupel solcher Art, mein Herr, verschonen mich.
»Doch mir und Tausenden sind Scrupel fürchterlich.
Verhöhnen Sie so sehr der Juden Glaubenszeichen,
Die, dem Gewissen nach, so vielen Christen gleichen?
Entschuldigen Sie mich: ich sprech' ein andermal.«

O schwarzer Unglückstag, was bringst du mir für Qual!
Der Unbarmherzige, der Spötter, geht, und fliehet,
Obgleich er über mir das große Messer siehet,
Mit dem der Prahler ficht. Allein, wer zeigt sich dort?
Sein Gegner kömmt und schreit: »Wohin, Nichtswürd'ger? Fort!«
Und sagt im Scherz zu mir: »Dürft' ich Sie zeugen lassen!«
Ja! müßt' auch Ihre Hand mein Ohr, auf römisch, fassen.
Er schleppt ihn vor Gericht: man lärmt, man ruft und schilt:
Und alles läuft herbei, zu sehen, wem es gilt.
So hat mich dem Verdruß, den ich erdulden müssen,
Der Gott, den Käuflin kennt, Apollo selbst entrissen.

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