GedichtGedichte

Das Gedicht „Der Wagen rollt“ (Hoch auf dem gelben Wagen) stammt aus der Feder von Rudolf Baumbach.

Originalversion

Hoch auf dem gelben Wagen
Sitz’ ich bei’m Schwager vorn.
Vorwärts die Rosse jagen,
Lustig schmettert das Horn.
Berge und Wälder und Matten,
Wogendes Ährengold. —
Möchte wohl ruhen im Schatten,
Aber der Wagen rollt.

Flöten hör’ ich und Geigen,
Kräftiges Baßgebrumm;
Lustiges Volk im Reigen
Tanzt um die Linde herum,
Wirbelt wie Laub im Winde,
Jubelt und lacht und tollt. –
Bliebe so gern bei der Linde,
Aber der Wagen rollt.

Postillon an der Schenke
Füttert die Rosse im Flug;
Schäumendes Gerstengetränke
Bringt uns der Wirth im Krug.
Hinter den Fensterscheiben
Lacht ein Gesichtchen hold. –
Möchte so gern noch bleiben,
Aber der Wagen rollt.

Sitzt einmal ein Gerippe
Hoch auf dem Wagen vorn,
Trägt statt Peitsche die Hippe,
Stundenglas statt Horn –
Ruf’ ich: „Ade ihr Lieben,
Die ihr noch bleiben wollt;
Gern wär’ ich selbst noch geblieben,
Aber der Wagen rollt.“

Fassung von Walter Scheel (1973)

Hoch auf dem gelben Wagen
sitz ich beim Schwager vorn.
Vorwärts die Rosse traben,
lustig schmettert das Horn.
Felder, Wiesen und Auen,
leuchtendes Ährengold –
ich möcht so gerne noch schauen,
aber der Wagen der rollt.

Postillon in der Schenke
füttert die Rosse im Flug.
Schäumendes Gerstengetränke
reicht der Wirt mir im Krug.
Hinter den Fensterscheiben
lacht ein Gesicht so hold.
Ich möcht so gerne noch bleiben,
aber der Wagen der rollt.

Flöten hör ich und Geigen,
lustiges Bassgebrumm.
Junges Volk im Reigen
tanzt um die Linde herum,
wirbelt wie Blätter im Winde,
jauchzet und lacht und tollt.
Ich blieb so gern bei der Linde,
aber der Wagen der rollt.

Anmerkung: Baumbach verfasste Gedicht im Jahr 1878. Die Melodie wurde erst 1922 von dem Berliner Apotheker Heinz Höhne (1892–1968) komponiert. Das Lied erreichte eine enorme Popularität, nachdem Walter Scheel (FDP; vierter Bundespräsident von 1974 bis 1979; damals noch Bundesaußenminister) es im Dezember 1973 in der ZDF-Show "Drei mal Neun" zugunsten wohltätiger Zwecke gesungen hatte.
Im Text wird das menschliche Leben als Reise in einer Postkutsche beschrieben. In der zweiten Zeile „sitz ich beim Schwager vorn“ bezeichnet das Wort „Schwager“ den Postillon (von franz. chevalier „Postreiter“). Der jede Strophe in leicht abgewandelter Form abschließende Refrain
„Möchte/bliebe/Gern wär’ ich […], / Aber der Wagen, der rollt“
stellt einen Bezug zum dahinfließenden Leben her, dessen Lauf man nicht aufhalten kann. Das Lied kann als nostalgischer Blick auf „alte Zeiten“ verstanden werden, da bei seiner Entstehung das Zeitalter der Postkutschen durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes bereits seinem Ende entgegenging.

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