GedichtGedichte

Das Gedicht „Des Sängers Fluch“ stammt aus der Feder von Ludwig Uhland.

Es stand in alten Zeiten ein Schloss, so hoch und hehr,
Weit glänzt es über die Lande bis an das blaue Meer,
Und rings von duft′ gen Gärten ein blütenreicher Kranz,
Drin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz.

Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich,
Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;
Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut,
Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.

Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar,
Der ein′ in goldnen Locken, der andre grau von Haar;
Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Ross,
Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoss.

Der Alte sprach zum Jungen: "Nun sei bereit, mein Sohn!
Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton!
Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz!
Es gilt uns heut, zu rühren des Königs steinern Herz."

Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal,
Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl,
Der König furchtbar prächtig wie blut′ ger Nordlichtschein,
Die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein.

Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll,
Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll;
Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor,
Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor.

Sie singen von Lenz und Liebe, von sel′ger goldner Zeit
Von Freiheit, Männerwürde, von Treu′ und Heiligkeit,
Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,
Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.

Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott,
Des Königs trotz′ ge Krieger, sie beugen sich vor Gott;
Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust,
Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust.

"Ihr habt mein Volk verführet; verlockt ihr nun mein Weib?"
Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib;
Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt.
Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch aufspringt.

Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm.
Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm;
Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Ross,
Er bind′t ihn aufrecht feste, verlässt mit ihm das Schloss.

Doch vor dem hohen Tore, da hält der Sängergreis,
Da faßt er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis,
An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt;
Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloss und Gärten gellt:

"Weh euch, ihr stolzen Hallen! Nie töne süßer Klang
Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang,
Nein, Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt,
Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!

Weh euch, ihr duft′ gen Gärten im holden Maienlicht!
Euch zeig′ ich dieses Toten entstelltes Angesicht,
Dass ihr darob verdorret, dass jeder Quell versiegt,
Dass ihr in künft′gen Tagen versteint, verödet liegt.

Weh dir, verruchter Mörder! Du Fluch des Sängertums!
Umsonst sei all dein Ringen nach Kränzen blut′gen Ruhms!
Dein Name sei vergessen, in ew′ge Nacht getaucht,
Sei wie ein letztes Röcheln in leere Luft verhaucht!"

Der Alte hat′s gerufen, der Himmel hat′ s gehört,
Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört;
Noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht;
Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.

Und rings statt duft′ ger Gärten ein ödes Heideland,
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand,
Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch;
Versunken und vergessen! das ist des Sängers Fluch!

Analyse

Die Ballade "Des Sängers Fluch" (1814; Epoche der Romantik) besteht aus 16 Strophen mit je 4 Versen. Das Reimschema ist „aabb“ also ein Paarreim. Jeder Vers beinhaltet eine Mittelzäsur, wo zwei je dreihebige Halbverse mit zwei Senkungen aufeinandertreffen; der ganze (Lang-)Vers schließt durchgehend mit männlicher Kadenz.

Inhalt / Zusammenfassung

Die ersten Strophen beschreiben die Ruinen einer einst stolzen Burg. In ihr lebte ein mächtiger, grausamer König mit einem Herz aus Stein.

Ein alter Minnesänger und sein Sohn kommen in eine Burg und treten vor dem König (der mürrisch ist), der Königin (die gerührt ist), sowie den Rittern und Edelfrauen auf.
Der König wird wütend und wirft den Sängern vor, seine Frau mit ihrer Musik betört zu haben. Mit einem Dolch tötet er den Jungen.
Der Vater trägt die Leiche seines Sohnes nach draußen und setzt sie auf ein Pferd. Dann richtet er sich auf und verflucht Schloss, deren Gärten und vor allem den König. Nichts wird bleiben, sogar die Erinnerung an den Namen des Königs wird verschwinden.

Hintergrund

Als Philologe hatte sich Uhland um die Erforschung des mittelalterlichen Nibelungen-Liedes (mit seinen märchenhaften Elementen) verdient gemacht und trug – neben Dichtern wie Adelbert von Chamisso (Die Weiber von Weinsberg, Das Riesenspielzeug) oder Franz von Gaudy (Kaiserlieder) – maßgeblich zur Wiederaufnahme der Nibelungenstrophe (metrischer und melodischer Bau der Verse) bei.

Robert Schumann vertonte die Ballade im Jahr 1852 als op. 139 für Soli, Chor und Orchester. Das Gedicht wurde auch häufig parodiert.

 

Der Minnesang war eine Tradition der Lyrik- und Lieddichtung in Deutschland und Österreich, die in der mittelhochdeutschen Zeit ihre Blütezeit erlebte. Diese Periode der mittelalterlichen deutschen Literatur begann im 12. Jahrhundert und dauerte bis ins 14. Jahrhundert. Menschen, die Minnesang schrieben und vortrugen, wurden als Minnesänger bezeichnet, und ein einzelnes Lied wurde als Minnelied bezeichnet.
Der Name leitet sich von "minne", dem mittelhochdeutschen Wort für "Liebe" ab, da dies das Hauptthema des Minnesangs war. Die Minnesänger ähnelten den provenzalischen Troubadouren.

Minnesang versteht sich wesentlich als ritterliche Liebhaberei und innerhalb der höfischen Ritterkultur als Konkurrenz hochadeliger Ritter untereinander – analog zu den anderen Formen des Wettkampfes, etwa dem Turnier.
Um 1190 begannen die deutschen Dichter, sich vom französisch-provenzalischen Einfluss zu lösen. Diese Zeit gilt als die Periode des klassischen Minnesangs, in der Albrecht von Johansdorf, Heinrich von Morungen und Reinmar von Hagenau neue Themen und Formen entwickelten, die ihren Höhepunkt in Walther von der Vogelweide fanden, der sowohl im Mittelalter als auch in der Gegenwart als der größte Minnesänger gilt.
Die im Minnesang gepflegte Version des Hochdeutschen ist der erste bekannte Versuch einer Vereinheitlichung der deutschen Literatursprache. Erst 400 Jahre später erfolgte der zweite Versuch durch Martin Luther.

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