GedichtGedichte

Das Gedicht „Die Entwicklung der Menschheit“ stammt aus der Feder von Erich Kästner.

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.

Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.

Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.

Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.

Was ihre Verdauung übrigläßt,
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
daß Cäsar Plattfüße hatte.

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
Den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.

Analyse

Das Gedicht "Die Entwicklung der Menschheit" (1932; Epoche der Neuen Sachlichkeit) besteht aus 6 Strophen mit je 5 Versen. Es folgt dem Reimschema [abaab]. Es liegt kein eindeutiges Metrum vor, genauso wie keine einheitliche Verslänge existiert.

Inhalt

Das Gedicht thematisiert, auf satirische & kritische Weise, den Fortschritt der Menschheit und dessen Weiterentwicklung vom primitiven Menschenaffen zum modernen Büromenschen. Trotz der Entwicklung, weg von den Bäumen und hin ins Büro, verhalten sie sich Menschen wie die Affen im Urwald. Der gewaltige äußere Fortschritt spiegelt sich keineswegs in der inneren Einstellung wieder.

Hintergrund

Dieses Gedicht stammt aus aus dem Gedichtband "Gesang zwischen den Stühlen" (1932). Es handelt sich um eines meiner 10 Lieblingsgedichte!


"Die Geschichte der Menschheit – leicht gekürzt" ist eine deutsche Filmkomödie von Erik Haffner aus dem Jahr 2022. Der Film ist an die ZDF-Comedyserie Sketch History angelehnt, bei der unter anderem Haffner ebenfalls Regie führte. Auch beteiligten sich weitere große Teile des Sketch-History-Teams an dieser Komödie.


Emil Erich Kästner (1899 - 1974) war ein deutscher Schriftsteller, Publizist, Drehbuchautor und Dichter. Seine mal nachdenklich, mal humoristisch, oft satirisch formulierten gesellschafts- und zeitkritischen Gedichte, Epigramme und Aphorismen von Kästner fanden schon zu seinen Lebzeiten ein breiteres Publikum.
Er wurde aber vor allem durch seine Kinderbücher wie "Emil und die Detektive" (1929), "Pünktchen und Anton" (1931), "Das fliegende Klassenzimmer" (1933) und "Das doppelte Lottchen" (1949) populär.

 

Weitere meiner Lieblingsgedichte von Erich Kästner: