GedichtGedichte

Das Gedicht „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“ (Mignon) stammt aus der Feder von Johann Wolfgang von Goethe.

I

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl?
   Dahin! Dahin
Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.

Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, getan?
Kennst du es wohl?
   Dahin! Dahin
Möcht ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn.

Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg;
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut;
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut,
Kennst du ihn wohl?
   Dahin! Dahin
Geht unser Weg! o Vater, laß uns ziehn!

II

Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen,
Denn mein Geheimnis ist mir Pflicht;
Ich möchte dir mein ganzes Innre zeigen,
Allein das Schicksal will es nicht.

Zur rechten Zeit vertreibt der Sonne Lauf
Die finstre Nacht, und sie muß sich erhellen;
Der harte Fels schließt seinen Busen auf,
Mißgönnt der Erde nicht die tiefverborgnen Quellen.

Ein jeder sucht im Arm des Freundes Ruh,
Dort kann die Brust in Klagen sich ergießen;
Allein ein Schwur drückt mir die Lippen zu,
Und nur ein Gott vermag sie aufzuschließen.

Anmerkung: Goethe schrieb insgesamt 4 Mignon-Lieder, die in "Wilhelm Meisters Lehrjahre" jeweils ohne Titel erschienen. Die Verse waren sehr beliebt, und wurden dann später in die Werkausgabe von 1815 aufgenommen (in abweichender Reihenfolge).
Während die 3 Lieder "Heiß mich nicht reden" (1782), "Nur wer die Sehnsucht kennt" (1785) und "So laßt mich scheinen" (1796) neben dem "Lied des Harfners" (Wer nie sein Brot mit Tränen aß) in das Kapitel "Aus Wilhelm Meister" erschienen, eröffnete "Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn" (mit dem Titel "Mignon") die Abteilung "Balladen", was die Übergänge zwischen den Formen und Gattungsbestimmungen erkennen lässt.

Das Gedicht wurde von zahlreichen Komponisten vertont: Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Carl Friedrich Zelter, Robert Schumann, Franz Liszt, Louis Spohr, Peter Tschaikowski, Hugo Wolf, Anton Rubinstein und Johann Strauss (der sich mit dem Titel seines Walzers "Wo die Zitronen blühen" erkennbar auf das Goethe bezog).

Hervorzuheben ist die Komposition (1869) und Übersetzung ins Französische durch Henri Duparc der auch das Gedicht Einladung zur Reise von Baudelaire vertonte (siehe auch die Interpretation aus dem Jahr 1984 durch Elly Ameling & Rudolf Jansen (ab Minute 18:40) in Lieder von Henri Duparc mit Michael Stegemann und Olaf Wilhelmer bei Deutschlandfunk Kultur).

Romance de Mignon

Le connais-tu ce radieux pays
Où brille dans les branches l’or des fruits?
Un doux zéphyr embaume l’air
Et le laurier s’unit au myrte vert.
Le connais-tu? Le connais-tu?
Là-bas, là-bas mon bien-aimé
Courons porter nos pas.

Le connais-tu ce merveilleux séjour
Où tout me parle encore de notre amour?
Où chaque objet me dit avec douleur
Qui t’a ravi ta joie et ton bonheur?
Le connais-tu? Le connais-tu?
Là-bas, là-bas, mon bien-aimé
Courons porter nos pas.

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