GedichtGedichte

Das Gedicht „An Vittoria Colonna“ stammt aus der Feder von Michelangelo Buonarroti.

1

Bald auf dem rechten Fuß, bald auf dem linken,
Bald steigend, bald ermüdet zum Versinken,
Hintaumelnd ratlos zwischen Gut und Böse,
Such' ich, wer meiner Seele Zweifel löse;
Denn wem Gewölk verhüllt des Himmels Weiten,
Wie können den des Himmels Sterne leiten?

Drum sei mein Herz das unbeschrieb'ne Blatt,
Und was das deine aus sich selbst gefunden,
O schreib' es nieder! was in allen Stunden
Die Richtschnur sei, nach der es Sehnsucht hat,
Damit im Irrsal dieser Lebenstage
Mir Antwort werde auf des Lebens Frage:

Ob die geringere Gnade einstmals finden,
Die demutvoll sich nah'n mit tausend Sünden,
Als die, die stolz auf das was sie getan,
Im Überfluss der guten Werke nah'n?

2

Wie sich im unbehau'nen, toten Stein,
Je mehr der Marmor unter'm Meissel schwindet,
Anwachsend immer voll'res Leben findet,
So mag es, edle Frau, mit mir auch sein.

Was Gutes in mir ist, es hüllt sich ein
Tief in mein eigen Fleisch, und so, umrindet
Vom rauhen, rohen Stoffe, der mich bindet,
Drängt sich zu mir umsonst das Leben ein.

Zu matt und kraftlos fühl' ich mich allein,
Das Ende naht und Tag auf Tag verschwindet:
Nimm fort, was sich um meine Seele windet!
Ich könnt' es nicht, doch du kannst mich befrei'n!

3

Der Freundlichkeit, mit der Ihr mich bedenkt,
Nicht allzu unwert, Herrin, mich zu zeigen,
Wollt ich mit dem, was meinem Geiste eigen,
Erst das erwidern, was Ihr mir geschenkt.

Bald aber fühlt' ich: da Euch nachzusteigen,
Wohin der Genius Euch empor gelenkt,
Gibt's keinen Weg für mich: verzeiht und denkt,
Wie sehr ich weiss, warum mir ziemt zu schweigen.

Denn Irrtum wär' mein Glaube, wenn ich dächte,
Dem gleichzutun mit meinem schwachen Werke,
Was von Euch wie des Himmels Gnade regnet.

Das Feuer fehlt, die Kunst, die es vollbrächte,
Mir Sterblichem, dem kein Versuch die Stärke
Verleiht, mit der der Himmel Euch gesegnet.

Quelle der 3 Gedichte: Übersetzt von Hermann Grimm (1828 - 1901) einem deutschen Kunsthistoriker und Publizisten.

4

Nicht schön zu sein, unmöglich ist's dir Schönen,
Nicht gut zu sein, dir Guten! Dein Erbarmen,
Verderblich ist's mir Armen,
Es schmilzt mein Herz in deiner Gnadensonnen
Auflösend sich in Wonnen!
Stirbt eh'r nicht deines Herzens Liebesfülle,
Als deine süsse Hülle,
So duld', ich fleh's mit Tränen,
Dass ich bei dir verweile
Bis du der Welt entronnen!
O dann entrückt mein Sehnen
Der Erde mich, ich eile
Empor zum ew'gen Heile;
Gibt uns der Schöpfer einst am jüngsten Tage,
Den Leib zurück, zu Wonne oder Plage,
Dann nimm mich auf, ob unschön ich geblieben,
Dort gilt ja mehr als Schönheit treues Lieben!

Quelle: Übersetzt von Sophie Hasenclever (geboren 1823 als Sophie von Schadow; gestorben 1892 in Düsseldorf) einer deutschen Dichterin und Übersetzerin.

Weitere gute Gedichte von Michelangelo Buonarroti: