GedichtGedichte

Das Gedicht „Nachtgedanken“ stammt aus der Feder von Heinrich Heine.

Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.

Die Jahre kommen und vergehn!
Seit ich die Mutter nicht gesehn,
Zwölf Jahre sind schon hingegangen;
Es wächst mein Sehnen und Verlangen.

Mein Sehnen und Verlangen wächst.
Die alte Frau hat mich behext,
Ich denke immer an die alte,
Die alte Frau, die Gott erhalte!

Die alte Frau hat mich so lieb,
Und in den Briefen, die sie schrieb,
Seh ich, wie ihre Hand gezittert,
Wie tief das Mutterherz erschüttert.

Die Mutter liegt mir stets im Sinn.
Zwölf lange Jahre flossen hin,
Zwölf lange Jahre sind verflossen,
Seit ich sie nicht ans Herz geschlossen.

Deutschland hat ewigen Bestand,
Es ist ein kerngesundes Land,
Mit seinen Eichen, seinen Linden
Werd ich es immer wiederfinden.

Nach Deutschland lechzt' ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mutter dorten wär;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.

Seit ich das Land verlassen hab,
So viele sanken dort ins Grab,
Die ich geliebt - wenn ich sie zähle,
So will verbluten meine Seele.

Und zählen muß ich - Mit der Zahl
Schwillt immer höher meine Qual,
Mir ist, als wälzten sich die Leichen
Auf meine Brust - Gottlob! Sie weichen!

Gottlob! Durch meine Fenster bricht
Französisch heitres Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,
Und lächelt fort die deutschen Sorgen.

Analyse

Das Gedicht "Nachtgedanken" (1844; Epoche des Vormärz) besteht aus 10 Strophen mit je 4 Versen. Das Reimschema ist ein regelmäßiger Paarreim. Das Versmaß ist größtenteils ein vierhebigen Jambus, der in den achtsilbigen Versen (jeweils die ersten beiden Versen) in einer männlichen, in den neunsilbigen (jeweils die letzten beiden Versen) in einer weiblichen Kadenz endet.
Am Anfang des Gedichts („Denk ich…“) sowie in der Mitte („Deutschland…“) wird der Daktylus als Versmaß verwendet.

Inhalt / Zusammenfassung

Heine zeigt "Nachtgedanken" seine Liebe zum Vaterland und die Sehnsucht nach der Heimat, die sich auch durch das anschließende "Wintermärchen" zieht und den Kern dieser Werke bildet.

Das lyrisches Ich schildert in der ersten Strophe, dass der Gedanke an Deutschland bei ihm zu Schlaflosigkeit führe und es zum Weinen bringe. Dann befasst sich das Ich mit seiner alten, in Deutschland lebenden, geliebten Mutter, die es seit 12 Jahren nicht gesehen hat, und mit der es im Briefkontakt steht.
Das Land Deutschland nennt das Ich im Gegensatz zur Mutter in Worten, die als ironisch zu betrachten sind, „kerngesund“, „mit seinen Eichen, seinen Linden“ etc.

Das Gedicht kulminiert in der Erinnerung des Ich an, und Trauer ob der vielen geliebten Personen, die während seines zwölfjährigen Exils in der Heimat verstorben sind; ihm ist, „als wälzten sich die Leichen“ auf seiner Brust. Diese Vorstellung wird erst vertrieben, als morgens in Frankreich die Sonne aufgeht und die schöne Frau des Ichs erscheint und es anlächelt.

Hintergrund

Wegen seiner jüdischen Herkunft (er war 1825 zum Christentum konvertiert) und seiner politischen Ansichten zunehmend angefeindet – vor allem in Preußen – und der Zensur in Deutschland überdrüssig, übersiedelte Heine 1831 nach Paris (wo er auch verstarb). Von einem Exil im strengen Sinn kann zu dieser Zeit noch nicht gesprochen werden, erst die späteren Publikationverbote 1833 und 1835 machten es dazu.

Der berühmte Eingangsvers „Denk ich an Deutschland in der Nacht, / Dann bin ich um den Schlaf gebracht“ ist zu einem geflügelten Wort geworden.

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