GedichtGedichte

Das Gedicht „Optische Täuschung“ stammt aus der Feder von Johann Gabriel Seidl.

Wer von der Erde fester Scholle
Den Blick gen Himmel schweifen läßt,
Der meint, die Sonnenscheibe rolle;
Allein die Sonne stehet fest.

Und wer von seines Schiffes Borden
Die Ufer mißt mit starrem Blick,
Der wähnt, sie seien flott geworden,
Und fliegen hinter ihm zurück.

Was aber rollt, das ist die Erde,
Und was hinabfliegt, ist das Schiff.
Wir trügen uns, am schwanken Herde,
Nur selbst mit täuschendem Begriff.

So sieht der Mensch im Lebenskahne
Das scheinbar Wandelnde sich an,
Zu stolz und blöd, als daß er ahne,
Was wandelt, sei nur er im Kahn.

Wie viele Tiber-Helden fielen?
Die gelbe Tiber fließt ja noch;
Wo ist der Mann der Thermopylen?
Die Thermopylen stehen doch!

Kaum wird ein einzig Sternchen trüber,
Indes ein ganzes Volk zerfällt:
Die Welt nicht geht an uns vorüber,
Wir gehn vorüber an der Welt!

Anmerkung: Optische Täuschungen (auch: visuelle Illusionen) können nahezu alle Aspekte des Sehens betreffen. Es gibt Tiefenillusionen, Farbillusionen, geometrische Illusionen, Bewegungsillusionen und einige mehr. In all diesen Fällen scheint das Sehsystem falsche Annahmen bei der Analyse des Sehreizes zu treffen, wie sich unter Zuhilfenahme weiterer Sinne oder durch Entfernen der auslösenden Faktoren zeigen lässt.
Optische Täuschungen werden in der Wahrnehmungspsychologie untersucht, da aus ihnen Rückschlüsse über die Verarbeitung von Sinnesreizen im Gehirn gewonnen werden können.

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