GedichtGedichte

Das Gedicht „Weltende“ stammt aus der Feder von Jakob van Hoddis.

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

Siehe auch das Gedicht Weltende von Lasker-Schüler.

Analyse

Das Gedicht "Weltende" (1911; Epoche des Expressionismus) besteht aus 2 Strophen mit jeweils 4 Versen. Die ersten Strophe weist einen umarmender Reim (Reimschema [abba]; nur männliche Kadenzen) und die zweite (Reimschema [abab]; nur weibliche Kadenzen) einen Kreuzreim auf. Das Versmaß ist ein fünfhebigen Jambus.

Die Verse stehen unverbunden (Reihungsstil); jeder Vers bildet dabei eine Sinneinheit, außer Zeile fünf, bei der das Zeilenende überschritten wird (Enjambement).

Inhalt / Zusammenfassung

Der Titel Weltende bedeutet so viel wie Weltuntergang oder Endzeit, aber van Hoddis hat ihn ironisch verwendet, denn die eigentliche Bedeutung ist Naturkatastrophe, was ja auch das Thema des Gedichts ist. Das Hauptmotiv ist der Kampf zwischen zwei gegensätzlichen Kräften: der ersten Natur und der so genannten zweiten Natur, die der Mensch mit dem Material der ersten aufgebaut hat. Kurz gesagt: Natur gegen Gesellschaft.

Hintergrund

Hans Davidsohn, bekannt unter dem Pseudonym Jakob van Hoddis, war ein deutscher expressionistischer Dichter. Er wurde am 16. Mai 1887 in Berlin geboren und starb 1942 in Sobibor (Polen). Er war mit Georg Heym befreundet und als Poet einer der Vorläufer des Dadaismus. Als Dichter, Jude und Geisteskranker war er eines der symbolträchtigsten Opfer der Vernichtungspolitik der Nazis.

Weltende wurde 1911 in der Berliner Zeitschrift "Der Demokrat" erstmals veröffentlicht. In dieser Zeit waren die Ansichten des Impressionismus noch weit verbreitet; das Gedicht markiert somit einen neuen Abschnitt in der Literaturgeschichte und entwickelte sich zu einem Kultgedicht (die anderen Gedichte des Autors sind nie wirklich bekannt geworden). Im Jahr 2005 nahm Marcel Reich-Ranicki Weltende in den Kanon lesenswerter deutschsprachiger Werke auf.

Um 1910 existierte eine konkrete apokalyptische Angst vor einem Zusammenstoß des Halleyschen Kometen mit der Erde. Die Zusammenhanglosigkeit der Schilderungen des Weltendes zusammen mit dem Hinweis „liest man“ kann man als Medienkritik verstehen. Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten: Jeden Tag gibt es eine neue Katastrophe.
Die 1912 beginnende geistige Umnachtung des Dichters liefert eine weitere Interpretation für den in kuriosen Einzelbildern imaginierten Weltuntergang.

Über einen Leseabend mit Jakob van Hoddis merkt Else Lasker-Schüler an: »Auf einmal flattert ein Rabe auf, ein schwarzschillernder Kopf blickt finster über die Brüstung des Lesepults. Jakob van? Er spricht seine kurzen Verse trotzig und strotzend, die sind so blank geprägt, man könnte sie ihm stehlen. Vierreiher – Inschriften; rund herum müssten sie auf Talern geschrieben stehn in einem Sozialdichterstaat.« [1910 im »Sturm«; der monatlichen Zeitschrift des Expressionismus, die in Berlin von Herwarth Walden, von 1910–1932 herausgegeben wurde.]

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