GedichtGedichte

Das Gedicht „Zum Weihnachtsbaum“ stammt aus der Feder von Peter Rosegger.

Ein Herzenswunsch allen kindlichen Gemütern.

Friede war im Wald und jeder Baum beglückt
Durch schöne, reife Frucht, womit der Herbst geschmückt
Die Äste all, dass jeder Zweig sich bieget,
Bis hoch hinauf, wo leis' die Krone wieget.

Doch höret: wo's zum Segen will gedeihn,
Da findet sich auch gern der Hochmut ein
Und selbst der Neid. Und jeder wollt' sich prahlen,
Dass seine Frucht die schönste sei von allen;
Und jeder hing an seine längsten Äste
als stolzes Aushängschild der Früchte beste.
Es war ein köstlich Wogen bis zur Spitze,
Ein Wetten, wer das Feinste wohl besitze. -
Nur eines litt im Wald viel Weh und Gram
Und barg sich ins Gesträuch voll tiefer Scham.

Ein Tannenbäumchen war's, gar schmächtig, schlank,
Wohl aller Früchte, auch der ärmsten, blank;
Und während andere stolz im vollen Prangen,
Hatt' es an seinem Stamm nur Nadeln hangen,
Nur dunkelgrüne Nadeln, scharf und spitz;
Sie stachen leicht, doch schärfer stach der Witz
Der andern und ihr Höhnen, schal und widrig,
Dieweil das Bäumchen, ach, so arm und niedrig.

Es flüsterte der Wald sich in die Ohren
Vom Taugenichts, der da umsonst geboren,
Und warf ihm boshaft gar zu Spott und Schmach
Die ersten gelben, dürren Blätter nach.
Das schnitt dem Bäumchen tief ins junge Herz,
Es wollte schier vergehn in Leid und Schmerz
Und weinte, tief bedrängt vom Weh, dem schweren,
Das Harz heraus, die bittersten der Zähren. -
So duldete das Bäumchen still und fromm;
Da zog hernieder durch den nächtigen Dom
Ein Engel aus des Himmels heiligen Hainen,
Der sah den armen Dulder schmerzlich weinen.

Er ließ sich erdenwärts vom weiten Raum
Zur armen Tanne, sprechend: "Liebster Baum!
Du warst bisher verachtet und verflucht,
Doch tragen wirst du noch die schönste Frucht,
Die je ein Baum getragen hier auf Erden,
Du sollst der Baum der höchsten Freude werden!" -
Wie wurde jetzt der Himmel trüb' und grau!
Es blies ein kalter Wind auf Heid' und Au,
Er heulte durch den Wald voll herber Hast
Und rüttelte die letzte Frucht vom Ast.

Wie bald war jeder Baum, der einst geprahlt,
Der Frucht und Blätter bar - wie kahl und alt!
Es fielen Flocken, und es krächzten Raben,
Und sieh, der stolze Wald war wie begraben.
Nur jenes Bäumchen steht noch frisch und frei
Und grünt und flüstert sanft, wie einst im Mai. -
Und als die heilige Stund' gekommen war,
Da schwebte durch den Wald die Engelsschar
Zum Bäumchen zart und trug es durch die Nacht
In festlich aufgegangener Strahlenpracht.
- Wie Flammen sich zu Sternenkänzen reihn!
Und Früchte, die im Himmel nur gedeihn,
Die reifen auf dem Baum, und Gottes Herz
Sinkt liebevoll erlösend erdenwärts. -

So trägt der Baum, dereinst verschmäht, verflucht
Wie unser Heiland selbst, die schönste Frucht.
Und wo er kommt, da kommt er nicht allein,
Da bringt er Gaben mit für groß und klein,
Er führt den Jubel ein ins stille Haus
Und streckt die hundert vollen Arme aus.
- O, hört ihr säuseln es in seinen Zweigen,
O, hört ihr klingen sie, die Himmelslieder?
O, seht die Engelsschar in lichten Reigen,
Sie steigt zum lieben Kindesherzen nieder.

Dann grünt und blüht sie auf, die Lieb', im reinen
Allseligen, alleinzigen Erdentraum.
O sei mir doch gegrüßt, du Freund der Kleinen,
Du Himmelsbote, heiliger Weihnachtsbaum!

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