GedichtGedichte

Das Gedicht „An eine, die vorüberging“ stammt aus der Feder von Charles Baudelaire.

Der Straßenlärm betäubend zu mir drang.
In großer Trauer, schlank, von Schmerz gestrafft,
Schritt eine Frau vorbei, die mit der Hand gerafft
Den Saum des Kleides hob, der glockig schwang;

Anmutig, wie gemeißelt war das Bein.
Und ich, erstarrt, wie außer mich gebracht,
Vom Himmel ihrer Augen, wo ein Sturm erwacht,
Sog Süße, die betört, und Lust, die tötet, ein.

Ein Blitz … dann Nacht! – Du Schöne, mir verloren,
Durch deren Blick ich jählings neu geboren,
Werd in der Ewigkeit ich dich erst wiedersehn?

Woanders, weit von hier! zu spät! soll's nie geschehn?
Dein Ziel ist mir und dir das meine unbekannt,
Dich hätte ich geliebt, und du hast es geahnt!

Übersetzung: Wolf Graf von Kalckreuth (1887 - 1906), Insel-Verlag, Leipzig 1907.

Analyse

Das Sonett "An eine, die vorüberging" (1855; Epoche des Expressionismus) besteht aus 4 Strophen mit je 4/3 Versen. Die beiden Vierzeiler haben unterschiedliche Reime, und das Thema, das sie behandeln, geht über den ersten Hemistich des ersten Verses des ersten Terzetts hinaus, anstatt an der konventionellen Trennung zwischen Quartetten und Terzetten zu enden. Darüber hinaus setzen die zahlreichen Enjambements die Deregulierung der klassischen Gedichtform des Sonetts fort.

Inhalt / Zusammenfassung

Das Gedicht, das zu den Pariser Gemälden gehört, beschreibt das blitzartige Auftauchen und Verschwinden einer eleganten Frau inmitten des lärmenden Großstadtgewimmels. Die fast schockartige Plötzlichkeit der Begegnung, die Flüchtigkeit eines erfüllten Augenblicks der Liebe im Vorübergehen sind zentrales Thema.

Weitere Übersetzungen

Einer Dame

Geheul der Straße dröhnte rings im Raum.
Hoch schlank tiefschwarz, in ungemeinem Leide
Schritt eine Frau vorbei, die Hand am Kleide
Hob majestätisch den gerafften Saum;

Gemessen und belebt, ihr Knie gegossen.
Und ich verfiel in Krampf und Siechtum an
Dies Aug’ den fahlen Himmel vorm Orkan
Und habe Lust zum Tode dran genossen.

Ein Blitz, dann Nacht! Die Flüchtige, nicht leiht
Sie sich dem Werdenden an ihrem Simmer.
Seh ich dich nur noch in der Ewigkeit?

Weit fort von hier! zu spät! vielleicht auch nimmer?
Verborgen dir mein Weg und mir wohin du musst
O du die mir bestimmt, o du die es gewusst!

Übersetzung: Walter Benjamin, 1923

Einer Vorübergehenden

Es tost betäubend in der strassen raum.
Gross schmal in tiefer trauer majestätisch
Erschien ein weib · ihr finger gravitätisch
Erhob und wiegte kleidbesatz und saum ·

Beschwingt und hehr mit einer statue knie.
Ich las · die hände ballend wie im wahne ·
Aus ihrem auge (heimat der orkane):
Mit anmut bannt mit liebe tötet sie.

Ein strahl … dann nacht! o schöne wesenheit
Die mich mit EINEM blicke neu geboren ·
Kommst du erst wieder in der ewigkeit?

Verändert · fern · zu spät · auf stets verloren!
Du bist mir fremd · ich ward dir nie genannt ·
Dich hätte ich geliebt · dich die’s erkannt.

Nachdichtung von Stefan George, 1901

Siehe auch: An einen, der vorübergeht - Hugo von Hofmannsthal

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