GedichtGedichte

Das Gedicht „An Levin Schücking“ stammt aus der Feder von Annette von Droste-Hülshoff.

I.

Kein Wort, und wär' es scharf wie Stahles Klinge,
Soll trennen, was in tausend Fäden Eins,
So mächtig kein Gedanke, daß er dringe
Vergällend in den Becher reinen Weins;
Das Leben ist so kurz, das Glück so selten,
So großes Kleinod, einmal sein statt gelten!
 
Hat das Geschick uns, wie in frevlem Witze,
Auf feindlich starre Pole gleich erhöht,
So wisse, dort, dort auf der Scheidung Spitze
Herrscht, König über alle, der Magnet,
Nicht fragt er, ob ihn Fels und Strom gefährde,
Ein Strahl fährt mitten er durchs Herz der Erde.
 
Blick' in mein Auge - ist es nicht das deine,
Ist nicht mein Zürnen selber deinem gleich?
Du lächelst - und dein Lächeln ist das meine,
An gleicher Lust und gleichem Sinnen reich;
Worüber alle Lippen freundlich scherzen,
Wir fühlen heil'ger es im eignen Herzen.
 
Pollux und Kastor, - wechselnd Glühn und Bleichen,
Des einen Licht geraubt dem andern nur,
Und doch der allerfrömmsten Treue Zeichen. -
So reiche mir die Hand, mein Dioskur!
Und mag erneuern sich die holde Mythe,
Wo überm Helm die Zwillingsflamme glühte.

II.

Zum zweiten Male will ein Wort
Sich zwischen unsre Herzen drängen,
Den felsbewachten Erzeshort
Will eines Knaben Mine sprengen.
Sieh mir ins Auge, hefte nicht
Das deine an des Fensters Borden,
Ist denn so fremd dir mein Gesicht,
Denn meine Sprache dir geworden?

Sieh freundlich mir ins Auge, schuf
Natur es gleich im Eigensinne
Nach harter Form, muß ihrem Ruf
Antworten ich mit scharfer Stimme;
Der Vogel singt, wie sie gebeut,
Libelle zieht die farbgen Ringe,
Und keine Seele hat bis heut
Sie noch gezürnt zum Schmetterlinge.

Still ließ an meiner Jahre Rand
Die Parze ihre Spindel schlüpfen,
Zu strecken meint ich nur die Hand,
Um alte Fäden anzuknüpfen,
Allein den deinen fand ich reich,
Ich fand ihn vielbewegt verschlungen,
Darf es dich wundern, wenn nicht gleich
So Ungewohntes mir gelungen?

Daß manches schroff in mir und steil,
Wer könnte, ach, wie ich es wissen!
Es ward, zu meiner Seele Heil,
Mein zweites zarteres Gewissen,
Es hat den Übermut gedämpft,
Der mich Giganten gleich bezwungen,
Hat glühend, wie die Reue kämpft,
Mit dem Dämone oft gerungen.

Doch du, das tiefversenkte Blut
In meinem Herzen, durftest denken,
So wolle ich mein eignes Gut,
So meine eigne Krone kränken?
O, sorglos floß mein Wort und bunt,
Im Glauben, daß es dich ergötze,
Daß nicht geschaffen dieser Mund
Zu einem Hauch, der dich verletze.

Sieh her, nicht eine Hand dir nur,
Ich reiche beide dir entgegen,
Zum Leiten auf verlorne Spur,
Zum Liebespenden und zum Segen,
Nur ehre ihn, der angefacht
Das Lebenslicht an meiner Wiege,
Nimm mich, wie Gott mich hat gemacht,
Und leih mir keine fremden Züge!

Anmerkung: Christoph Bernhard Levin Matthias Schücking (1814 - 1883) war ein deutscher Schriftsteller und Journalist.
Droste-Hülshoff (1797 - 1848) pflegte mit dem wesentlich jüngeren Literaten und Literaturkritiker seit 1837 eine Dichterfreundschaft.
Er war der Sohn der Dichterin und Freundin ihrer Eltern Katharina Sibylla Schücking, die starb, als Schücking ca. 17 Jahre alt war. Annette verhalf dem jungen Juristen zum Durchbruch, indem sie ihm anonym ihre Texte für das von ihm mit Freiligrath verfasste Werk Das malerische und romantische Westphalen überließ. Durch Annette von Droste-Hülshoffs Vermittlung wurde er 1841 bei ihrem Schwager auf Burg Meersburg Bibliothekar. Insbesondere unter der Inspiration ihrer mütterlichen Liebe und seiner literarischen Kenntnisse, die zu der sog. „Dichterwette“ führten, entstand in Meersburg ein Großteil der „weltlichen“ Gedichte.
Die Abreise Schückings 1842, der weitere berufliche Entwicklung suchte und die Dichterin Louise von Gall heiratete, traf sie ebenso empfindlich, wie Indiskretionen über den Adel, die er, der sich der jungdeutschen Bewegung zuwandte, in seinem Werk "Die Ritterbürtigen" verarbeitete. So kam es – auch auf Druck ihrer Familie – zum Bruch der Beziehung mit ihrem Freund.

Weitere gute Gedichte der Autorin Annette von Droste-Hülshoff.