GedichtGedichte

Das Gedicht „Auf der Terrasse des Café Josty“ stammt aus der Feder von Paul Boldt.

Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll
Vergletschert alle hallenden Lawinen
Der Straßentakte: Trams auf Eisenschienen
Automobile und den Menschenmüll.

Die Menschen rinnen über den Asphalt,
Ameisenemsig, wie Eidechsen flink.
Stirne und Hände, von Gedanken blink,
schwimmen wie Sonnenlicht durch dunklen Wald.

Nachtregen hüllt den Platz in eine Höhle,
Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln schlagen
Und lila Quallen liegen - bunte Öle;

Die mehren sich, zerschnitten von den Wagen.-
Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest,
Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer Pest.

Analyse

Das Sonett „Auf der Terrasse des Café Josty“ (1912; Epoche des Expressionismus) besteht aus 4 Strophen, von denen die ersten beiden jeweils 4 Verse (Quartett), die anderen beiden jeweils 3 Verse (Terzett) haben.
Die ersten 8 Verse bilden 2 umschließende Reime, während das Reimschema ab dem Vers 9 variiert. Die Verse 9 bis 12 bilden hierbei einen strophenübergreifenden Kreuzreim und die Verse 13 und 14 einen einfachen Paarreim.
Ein einheitliches Versmaß (Metrum) ist nicht vorhanden. Am häufigsten tritt ein fünfhebiger Jambus auf. Der Kontrast zwischen männlichen Kadenzen in Vers 1 und 4 und weiblichen Kadenzen in Vers 2 und 3 passt sich dem umgreifenden Reimschema an.

Inhalt / Zusammenfassung

Der erste Sinnabschnitt (Vers 1-8) handelt vom Potsdamer Platz bei Tag und der zweite (Vers 9-14) bei nächtlichem Regen. Mit einer bildreichen Sprache wird die Hektik und die Unterdrückung der Individualität im industrialisierten Großstadtleben thematisiert.

Hintergrund

Das Café Josty war eine Berliner Konditorei, deren bekannteste Filiale das Künstlercafé am Potsdamer Platz war.

Neunzehntes Jahrhundert

Die Brüder Josty wanderten aus Sils in der Schweiz nach Berlin aus und gründeten 1796 die Zuckerbäckerei Johann Josty & Co. Aus dieser Firma ging das Café Josty hervor, das mindestens seit 1812 bestand. Es befand sich zunächst "An der Stechbahn", dann auf der Schlossfreiheit (heute Schlossplatz) und schließlich nach 1880 am Potsdamer Platz.

An den früheren Adressen verkehrten Künstler wie Heinrich Heine, Joseph von Eichendorff und die Gebrüder Grimm - und während der Kaiserzeit Theodor Fontane und Adolph von Menzel. Im Jahr 1900 verkaufte die Familie Josty das Café an die Witwe des Gründers des Café Bauer. Das Josty wurde modernisiert, behielt aber seinen ursprünglichen Namen.

Der Schriftsteller und Dichter Heinrich Heine schrieb 1822 in seinen Briefen aus Berlin:

„Aber gerade vor uns ist die Stechbahn, eine Art Boulevard. Und hier wohnt Josty! – Ihr Götter des Olymps, wie würde ich euch euer Ambrosia verleiden, wenn ich die Süßigkeiten beschriebe, die dort aufgeschichtet stehen.

Oh, kenntet ihr den Inhalt dieser Baisers! O Aphrodite, wärest du solchem Schaum entstiegen, du wärest noch viel süßer!

Das Lokal ist zwar eng und dumpfig und wie eine Bierstube dekoriert, doch das Gute wird immer den Sieg über das Schöne behaupten; zusammengedrängt wie die Bücklinge sitzen hier die Enkel der Brennen und schlürfen Creme und schnalzen vor Wonne und lecken die Finger.“

Zwanzigstes Jahrhundert

Im zwanzigsten Jahrhundert wurde das Café zu einem wichtigen Treffpunkt für Künstler, vor allem des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit.

Erich Kästner nutzte das Café als Schauplatz für eine wichtige Szene in dem Kinderbuch "Emil und die Detektive" (1929).

Das Café wurde 1930 geschlossen, und das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. In Wim Wenders' Film "Der Himmel über Berlin" (1987 ) versucht Homer (gespielt von Curt Bois), ein alter Dichter und Geschichtenerzähler, den Standort des Cafés zu finden, was ihm jedoch nicht gelingt.

Einundzwanzigstes Jahrhundert

Das neue Café Josty entstand 2001 im Sony Center, etwa 200 Meter vom früheren Standort der Hauptfiliale entfernt. Dabei wurde der historische Frühstückssaal des Grand Hotels Esplanade am leicht veränderten Ort wieder aufgebaut.

Heute ist es ein Restaurant und hat außer dem Namen mit seinem Vorgänger nichts gemein. Hier verkehren hauptsächlich Touristen und während der Berlinale auch Schauspieler und B-Promis.

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