GedichtGedichte

Das Gedicht „Kein Schnee, der rings die graue Welt“ stammt aus der Feder von Ferdinand Avenarius.

Kein Schnee, der rings die graue Welt
Mit lustigem Geblink erhellt!
Kein Frost, der Blätter, Blumen, Wald,
Fehlt’s draußen dran, ans Fenster malt!
Was muss ich heut auch grad allein,
Heut in der heil’gen Roma sein,
Wo sie aus ihren klassischen Nasen
Die Zigarettenwolken blasen,
Die feurigen Augen so ledern leer,
Als wenn just gar nichts Extra’s wär!
Ob ihr denn allesamt nicht wisst,
Das Weihnacht heut, ja: Weihnacht ist?!

Auf dem Markte daheim, um den Brunnen herum,
Was ist da jetzt für ein Gesumm!
Und summt in alle Straßen aus
Und in den Straßen in jedes aus,
Denn ach, des Weihnachtsbaums Geflimmer,
Die höchste Lust, blüht ja im Zimmer!

Da stellt dem Heiligtum sich vor
Die Stubentür als Himmelstor –
Wie stürmen sie im dichten Wall
Dagegen an, die Sel’gen all! –
Fasst ihr’s, ihr Kinder groß und klein:
Minuten noch, dann geht’s hinein?
‘S ist halt zu eng in eurer Brust:
Lärmt nur, sie springt ja sonst vor Lust!
Und drin wird’s heller, heller, heller –
Horch, klapperte das nicht wie Teller?
Und roter werden noch die Backen –
Ich glaub, das klang wie Nüsseknacken?
Da huscht ein Schatten vors Schlüsselloch:
"Ach, lieber Papa, nun öffne doch!"
"So ungeduldig?" "Ach, Väterchen, nein,
Ich mein ja nur so!“ – "Nun, Völkchen, herein!"

Da quillt aus offnem Gnadentor
Ein Strom von goldnem Licht hervor –
Im Jubel bebt der Fuß zurück –
Weit auf das Auge dann schließt sichs vor Glück.
Lässt blinzelnd nun und Schein auf Schein
Nur fünkchenweise Licht herein –
Dann öffnet sichs. Wies nur kann, so weit:
Hinein denn in die Seligkeit! …

Nur stehn die Eltern Arm in Arm
Und lächeln auf den Bienenschwarm,
Wie um den Tisch in wilder Flucht
Ein jedes nach s e i n e m Honig sucht.
Das ist ein Gucken, Fragen, Lachen,
Erstaunen und Gesichtermachen,
Denn, was ein jeder Platz enthält,
Aufblüht’s zu einer Wunderwelt
Und wandelt Pfefferkuchenduft
Zu See und Kobold in der Luft.
Die Braune dort, gibt sie nicht schon
Der Puppe mütterlich Lektion?
Die andre mit der kleinern da,
Fühlt sie sich nicht als Großmama?
Doch du, du Bürschlein, blond und wild,
Bist meiner Kindheit Ebenbild –
Ich weiß, von Reifen unerhört
Kommst eben du auf dem Schaukelpferd,
Und wie du das Gewehr genommen,
Mögen nur die Franzosen kommen!
Wie du führt ich die Zinnsoldaten
Zu ungeahnten Heldentaten,
Hab mit dem Holzsäbel, wie du heut,
Einst manches Land vom Tyrann befreit,
Wie du mit der Knallpistole jetzt
Den Drachen Todesschüsse versetzt!

Bursch, wies mich selig übertaut: -
Ich glaub, ich steck‘ in deiner Haut,
Weiß wieder, als hätt‘ ich mich nie geirrt,
Wie hold die Zukunft blühen wird,
Weiß, wie ich einst aus dem Verstecke
Die Tugend ruf, die Sünder schrecke,
Und Taten dabei vollführe, Taten,
Wie keinem Helden sie je geraten –
Daneben aber als großer Mann
Besuche mit Kuchen traktieren kann,
Bis, wie die Bleient um den Magnet,
Um meinen Willen die Welt sich dreht,
Bis niemand, als Papa allein,
Mir reden darf ein Wörtchen drein,
Bis ich, als glücklichster Mann der Erde,
Konditor oder König werde! …

Doch schweigend sehn in guter Ruh
Die Alten all dem Treiben zu,
Denn keusch aus der Vergangenheit
Grüßt sie die eigne Kinderzeit.
Die Hände, die einst sie bedacht,
Die Augen, die einst sie bewacht,
Ihr Bild taucht bei der Kleinen Lust
Wehmütig auf ihrer Brust –
Und was noch Ausweg sucht im Wort,
Nach innen bald spinnt’s weiter fort.
Und auch der Kleinen Freudenbraus
Klingt endlich in ein Summen aus,
Wie Lerchentriller leiser wird,
Je näher er dem Himmel schwirrt.
Still feierlich durchwebt den Raum
Dein Duft, du lieber Tannenbaum,
Der du, wenns draußen kahl und wüst,
Wie Hoffnung in der Trauer glühst.
Aus jeder Lichterblume blüht
Ein Fünkchen Frieden ins Gemüt –
Du machst das Leben ja zum Traum,
Den Traum zum Leben, Weihnachtsbaum,
Gibst Glück dem, ders verlor, zurück,
Glück des Beglückten, reinstes Glück.

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