GedichtGedichte

Das Gedicht „Der Wein der Lumpensammler“ stammt aus der Feder von Charles Baudelaire.

I.

Oft kommt bei der Laterne rotem Schimmern,
Das jeder Windstoss zucken macht und flimmern,
Im Labyrinth der Vorstadt dumpf und feucht,
Darin die Menschheit wie in Gärung keucht,

Ein Mann daher, der taumelnd Lumpen sammelt,
An Mauern rennt und wie ein Dichter stammelt,
Den Kopf im Nacken, trotz der Späher Schar
Macht er der Welt erhabne Pläne klar.

Er schwört zu Gott und heiligen Geboten,
Erhebt Gefallene und stürzt Despoten,
Und unterm Himmel, der sein Baldachin,
Berauscht der eignen Tugend Leuchten ihn.

Dies Volk, von Not gepeinigt und getrieben,
Von Arbeit wund, vom Alter mürb gerieben,
Gebeugt von Schutt und Kehricht lahm und matt,
Der wüste Auswurf einer Riesenstadt,

Es zieht daher, vom Fassgeruch umflossen,
Ergraut im Krieg mit lärmenden Genossen,
Der Schnurrbart hängt zerfetzten Fahnen gleich,
Vor ihnen baut sich auf ein strahlend Reich.

Die Banner wehn, und Lorbeer schmückt die Hallen,
Sie bringen in des Festrauschs Jubelschallen,
Bei Sonnenpracht, Trompeten, Trommelschlag
Dem liebetrunknen Volk den Ehrentag.

So lässt, der eitlen Menschheit zum Geniessen,
Der Wein sein Gold durch alle Lande fliessen,
Durch Menschenkehlen zieht er singend hin,
Sein Reichtum macht zum wahren König ihn.

Den Groll, das Leid der Armen zu ertränken
Musst' Gott uns reugequält den Schlummer schenken.
Der Mensch erfand, dem alten Fluch zum Hohn,
Den Wein, den Wein, der Sonne heiligen Sohn!

Übersetzung aus dem Jahr 1925 von Terese Robinson (Georg Müller Verlag; München).

II.

Oft schauen wir, wie in der Flammen rotem Flirren,
Im wehnden Flackerschein, bei der Laternen Klirren,
Im Schoß der alten Stadt, von Schmutz und Elend voll,
Dort, wo die Menschheit stöhnt in wetterschwangrem Groll,

Ein Lumpensammler kommt, der, wie ein Dichter schwankend,
Wild schüttelt mit dem Kopf, an alte Mauern wankend;
Und voll Verachtung für der Späher feilen Hauf
Läßt seinem Hoffen er im Rausche freien Lauf.

Er schwört Gelübde, gibt erhabene Gesetze,
Er hebt Gestürzte auf, zerreißt der Bösen Netze,
Der Himmel überwölbt ihn wie ein Baldachin,
Wie trunken macht der Glanz der eignen Tugend ihn.

Ja, diese Leute, die in Sorgen niederbrechen,
Die Arbeit schier zermalmt, die lange Jahre schwächen,
Gelähmt, sich bückend vor der Last gehäuften Schutts,
Die ausgespien Paris, ein wirr Gewühl von Schmutz,

Sie kommen vom Geruch der Fässer wie umflossen,
Mit kampfergrauter Schar, mit jubelnden Genossen,
Ihr Schnurrbart hängt herab wie Fahnen greisen Ruhms,
– Siegbogen, Blumen, all der Glanz des Heldentums

Erhebt vor ihnen sich wie eine Zaubersonne,
Sie bringen, ganz betäubt vom Festlärm und der Wonne
Der Trommeln, des Geschreis, des Horns, der Strahlenpracht,
Die Glorie ihrem Volk, das Liebe trunken macht,

So rollt, auf daß er all die nichtge Menschheit letze,
Der Wein sein reiches Gold, ein Paktolos der Schätze;
Im Mund des Menschen singt sein Tun er, siegeshehr,
Gleich wahren Köngen herrscht durch seine Gaben er.

Den Gram zu tilgen und die Gleichmut sanft zu wiegen
All der Verstoßnen, die ergreist und stumm erliegen,
Gab reuig Gott den Schlaf, der tröstlich und gelind.
Der Mensch erschuf den Wein, der Sonne heilges Kind!

Übersetzung aus dem Jahr 1907 von Wolf von Kalckreuth (Insel Verlag, Leipzig).

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