GedichtGedichte

Das Gedicht „Brügge“ stammt aus der Feder von Stefan Zweig.

I.

Bei Tag ist alles hier Gewöhnlichkeit.
Die Straße klingt vom Holzschuhtritt der Bauern,
Vom Lärm der Weiber, die am Markte kauern.

Allein im milden Glanz der Abendzeit
Erwacht der alten Häuser leises Trauern.
Die Glocke mahnt … Und in den dunkeln Mauern

Erstehn die Träume der Vergangenheit.

II.

Hier sind die Häuser wie alte Paläste,
Der Abend hüllt sie in traurigen Flor,
Die Straßen sind leer wie nach einem Feste,
Wenn sich der Schwarm froh lärmender Gäste
Schon fern in die schweigende Nacht verlor.

Die prunkenden Tore mit rostigen Klinken
Sind längst nicht mehr zum Empfang bereit,
Verstaubt und verwittert die Kirchturmzinken,
Die in den Nebel träumend versinken
Wie in das Meer ihrer Traurigkeit.

Und in den Nischen an dunkelnden Wänden,
Da lehnen Gestalten aus bröckelndem Stein,
Und reglos, in heimlichen Worte spenden
Sprechen sie leise die alten Legenden
In die tiefe Schwermut der Straßen hinein …

III.

Die weißen Wolken fremder Lande,
Die nie ein Turm erklommen hat,
Sie scheinen nah im Spiegelrande
Und eingestickt dem schwarzen Bande
Der stillen Wasser dieser Stadt.

Wie Mädchen, die zur Messe schreiten,
So fromm und fürchtig ist ihr Gehn.
Man sehnt sich sehr, sie zu begleiten
Und über Trauer alter Zeiten
Mit ihnen sinnend hinzuwehn …

VI.

Lind weht der Abendfriede in die stille Stadt,
Der Sonne goldnes Blut verströmt in den Kanälen,
Und eine Sehnsucht, die nicht Weg und Worte hat,
Beginnt nun von den grauen Türmen zu erzählen.

Die alten Glocken singen dumpf und wunderbar
Von Tagen, da ihr Jubelruf das Land umspannte,
Des Lebens Glanz tief unten in den Straßen war
Und fackelfroh das Wimpelspiel des Hafens brannte,

Von reichen Tagen wundersam und längst verglüht
Und die wie erster Kindertraum so fern geworden.
Das Ave schweigt … Und langsam stirbt der Glocken Lied
Und zittert aus in leise bebenden Akkorden.

Die letzten Töne nimmt ein lauer Abendwind,
Und einsam irrt der Nachhall in die toten Gassen,
Die alle schweigsam und ganz schmerz verschüchtert sind,
Ein blindes Kind, das jäh die Führerhand verlassen. –

Durchs stille Wasser streift ein wildes Schwanenpaar,
Und leise raunt die Flut, die Schwingen sacht erschauert,
Von einer schönen Frau, die Königin einst war
Und nun im dunklen Nonnenkleide einsam trauert …

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