GedichtGedichte

Das Gedicht „Der Alpenwanderer“ stammt aus der Feder von Friedrich von Matthisson.

Des Wand'rers Tritte wanken,
Auf schmaler Kieselbahn,
Durch wild verschlungne Ranken,
Den Fichtenberg hinan.
Wie bebt des Waldstroms Brücke,
Der tosend sich ergeußt,
Und Bäum' und Felsenstücke
Jach in die Tiefe reißt!

Jetzt flieht die Nacht der Wipfel;
Verklärt vom Sonnenstrahl,
Grenzt an beschneite Gipfel
Ein grünes Zaubertal.
Hier bliebe, wonnebebend,
Selbst Hallers Muse stumm.
Wie groß, wie seelenhebend!
Hier ist Elysium!

Hier wo ein rein'rer Äther
Um Götterhaine fließt,
Aurorens Licht sich röter
Auf hell'res Grün ergießt;
Wo Freiheit in den Hütten
Bei frommer Einfalt wohnt,
Und Kraftgefühl die Sitten
Des goldnen Alters lohnt;

Hier wo die Herde läutend
Im Blumengrase geht,
Und, Wohlgeruch verbreitend,
Die Bergluft milder weht;
Wo, von der Enziane
Und Anemon' umblüht,
Auf seid‘nem Rasenplane
Die Alpenrose glüht;

Hier wo die Seele stärker
Des Fittigs Hülle dehnt,
Hoch über Erd' und Kerker
Emporzuschweben wähnt,
Geläuterter und freier
Der Sinnenwelt entflieht,
Und schon, im Ätherschleier,
An Lethes Ufern kniet.

Doch, ach! der Zauber schwindet,
Des Traumgotts Bildern gleich;
Der enge Steinpfad windet
Sich zwischen Felsgesträuch;
Wild starren, matt vom Schimmer
Der Abendsonn' erhellt,
Gestürzter Berge Trümmer,
Wie Trümmer einer Welt.

Im hohen Raum der Blitze
Wälzt die Lawine sich,
Es kreischt im Wolkensize
Der Adler fürchterlich;
Dumpf donnernd, wie die Hölle
In Ätnas Tiefen ras't,
Kracht an des Bergstroms Quelle
Des Gletschers Eispallast.

Hier dämmern schwarze Gründe
Wo nie ein Blümchen lacht,
Dort bergen grause Schlünde
Des Chaos alte Nacht;
Und wilder, immer wilder
Schwingt sich der Pfad empor;
Bleich wallen Todesbilder
Aus jeder Kluft hervor.

Kalt wehn des Grabes Schrecken,
Wo dräuend der Granit,
In kühn getürmten Blöcken,
Den Abgrund übersieht.
Erzürnte Fluten brausen
Tief unter morschem Steg,
Und Grönlands Lüfte sausen
Am hochbeschneiten Weg.

Der Wand'rer starr't von Eise,
Sein Odem friert zu Schnee;
Ein Glöckchen, dumpf und leise,
Tönt fern am Alpensee;
Der Hohlweg senkt sich tiefer;
Durch Felsenzacken blickt
Des Klosters dunkler Schiefer,
Mit weißem Kreuz geschmückt.

Widmung: Scandit inaccessos brumali sidere montes,
Nec meminit lethi, nimbosve aut frigora curat.
Claudian.

Deutsch: Der winterliche Star erklimmt die aufregenden Berge;
Er erinnert sich weder an Lethi, noch kümmert er sich um Nebel oder Erkältungen.
Claudian.

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