GedichtGedichte

Das Gedicht „Der steinerne Wabenbau“ stammt aus der Feder von Oskar Loerke.

Gewölk wie schwefelgelbe Leichentücher
Mit einem Schein von Blut wirft sich und flattert,
Doch läßts die Stadt, die es in sich gewickelt,
Nicht los. Die Tücherzipfel klatschen auf
Die Türme. Unten irgendwo im Leeren
Steht kalter Wind und bläst ins tote Bündel.
Und ganz Berlin ist schwefelgelb getüncht
Mit einem Schein von Blut…

Ich träume wach in finstrem Mauerkäfig,
Mir öffnet sich das Hinterhaus…ich sehe:
Da liegt der Wabenbau aus Ziegelstein,
Schwermütiger, je weiter er sich reckt.
Und tausend Jahre älter scheint die Stadt,
Denn, was in tausend Jahren wird, ist heut.

Die Straßen sind im Leib der Stadt wie Sprünge
Und Risse des Verfalls, wie Säbelhiebe,
Die kreuz und quer der plumpe Geist der Stadt
Dem eignen Körper schlug, der Straßen Bäume
Sind Gras und Unkraut, in den Spalten wuchernd.
Noch wehn wir durch die Waben wie ein Schrei,
Der fensterein und wieder fensteraus fährt,
Mit unsrem kleinen Leben. Zeugen, Sterben
Gärt schal im Summen mit, das wie ein Schwärmen
Von Leichenkäfern im Kadaver braust.

Der Säle und der Kammern Waben bröckeln,
Schon blättern von den Zellen die Tapeten,
Die Teppiche zermürben auf den Dielen,
Und aller fremden Lande Schätze fahren
In dieser Tausendjahrminute aus,
So laut, so leis wie Töne eines Tanzes,
Den sich der Geist der Stadt mit großen Tatzen
Auf Dächern wie auf dunklenTasten spielt.
Der Wind der Zeiten bläst als Blasebalg.
Der Wind?

… es bläst. Es ist ein kleiner Wind,
Er fährt in meine Hinterstube, lischt
Die Schemen aus. Die Mauern schließen sich.
Ach, ich bin heut die dumpfe Lebensschwermut
Der vielen tausend Zellen dieses Steinleibs.
Ich gleiche wohl dem schwefelfahlen Licht
Mit einem Schein von Blut… ich gleiche mehr
Dem Wolkentuch, das allzuschwere Bürde
In seinen Nebel nimmt, doch nimmer trägt.

Weitere gute Gedichte des Autors Oskar Loerke.