GedichtGedichte

Das Gedicht „Der Sturm“ stammt aus der Feder von Selma Meerbaum-Eisinger.

Steht ein Rosenstrauch in deinem Garten
und er ist noch gar nicht grün.
Und du kannst es kaum erwarten,
dass die erste Knospe komme, zart und dünn,
und dass sie verkünde neues Leben.
Wartest, wartest voller Angst und Beben,
bis ein Morgen kommt - und sie ist da.

Und sie ist so fein und schlank und hell,
ganz geschlossen noch und kaum gesehn
und du möchtest, dass sie aufbricht, ganz, ganz schnell,
da du weißt, wie rasch die Zarten untergehn.
Doch es enteilt ein Tag und es enteilt ein zweiter
und die Himmel werden blauer, werden weiter
und die Knospe bricht nicht auf.

Und du weißt: wenn jetzt ein Frost kommt, stirbt sie,
stirbt und hat das Leben nicht gelebt.
Möchtest gerne helfen und weißt doch nicht wie,
fürchtest sehr, dass nicht ein Wind sich hebt,
der sie dir vom Stamme bricht -
in der Nacht, du schläfst und siehst es nicht,
und sie ist bei Tag schon tot.

Kommt dann eine Nacht, und Stürme brausen um dein Haus,
um dein Haus mit den verschlossnen Toren.
Und du bäumst dich auf und willst und willst hinaus
und dir klingt’s wie Wimmern in den Ohren.
Endlich bist du draußen - und du siehst den
Rosenstrauch dir an -
Sieh - es ist die Knospe aufgebrochen.
Was die Sonne nicht vermocht’ in langen Wochen,
hat ein einz’ger Sturm getan.

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