GedichtGedichte

Das Gedicht „Freut euch des Lebens“ stammt aus der Feder von Johann Martin Usteri.

Freut Euch des Lebens
Weil noch das Lämpchen glüht,
Pflücket die Rose,
Eh’ sie verblüht!

So mancher schafft sich Sorg’ und Müh,
Sucht Dornen auf, und findet sie,
Und läßt das Veilchen unbemerkt,
Das ihm am Wege blüht.

Freut Euch des Lebens …

Wenn scheu die Schöpfung sich verhüllt,
Und lauter Donner ob uns brüllt,
So scheint am Abend, nach dem Sturm,
Die Sonne, ach! so schön!

Freut Euch des Lebens …

Wer Neid und Missgunst sorgsam flieht,
Genügsamkeit im Gärtchen zieht,
Dem schießt sie bald zum Bäumchen auf,
Das goldne Früchte bringt.

Freut Euch des Lebens …

Wer Redlichkeit und Treue übt,
Und gern dem ärmern Bruder giebt,
Da siedelt sich Zufriedenheit
So gerne bei ihm an.

Freut Euch des Lebens …

Und wenn der Pfad sich furchtbar engt,
Und Missgeschick uns plagt und drängt,
So reicht die holde Freundschaft stets
Dem Redlichen die Hand.

Freut Euch des Lebens …

Sie trocknet ihm die Tränen ab,
Und streut ihm Blumen bis in’s Grab;
Sie wandelt Nacht in Dämmerung,
Und Dämmerung in Licht.

Freut Euch des Lebens …

Sie ist des Lebens schönstes Band,
Schlagt, Brüder, traulich Hand in Hand,
So wallt man froh, so wallt man leicht
In’s bessre Vaterland.

Anmerkung: Das im Refrain (i.d.R. vom Chor gesungen) daktylische, in den Strophen jambische Versmaß ist locker und unregelmäßig, die Zeilen von ungleicher Länge reimen nur teilweise.

Den Text schrieb der Schweizer Dichter Johann Martin Usteri (1763–1827) im Jahr 1793, die Melodie im selben Jahr der Schweizer Komponist Hans Georg Nägeli (1773–1836). Seit dem Biedermeier fand das Lied im ganzen deutschen Sprachraum Verbreitung.

In Thomas Manns Roman "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" taucht der Refrain als Nebenmotiv auf. Am Schluss des ersten Kapitels des ersten Buchs, nach der Charakterisierung seines feierseligen, aber geschäftlich unsoliden Vaters, schreibt Felix Krull:
Über dem Windfang war eine kleine, sinnreiche Vorrichtung angebracht, die, während die Tür, durch Luftdruck aufgehalten, langsam ins Schloß zurücksank, mit feinem Klingen den Anfang des Liedes ›Freut euch des Lebens‹ spielte.

Johann Martin Usteri

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