GedichtGedichte

Das Gedicht „Weihnacht“ stammt aus der Feder von Nikolaus Lenau.

Des Domes Tor ist aufgegangen;
Nicht aber Allen wird gestillt
Der Quelle durstendes Verlangen,
Die heute von der Kanzel quillt.

Altaresstufen, Bilderblenden
Sind vollgedrängt, die Sacristei,
Die Standgerüste an den Wänden,
Noch immer strömt das Volk herbei.

Girolamo hat nun betreten
Die Kanzel, kniet in Andacht still,
Von Gott die Kraft herabzubeten
Dem Worte, das er sprechen will.

Nun steht der Fromme aufgerichtet,
Sein Aug am Volke segnend ruht,
Sein edles Antlitz ist durchlichtet
Von Liebesmacht und Kampfesmut. –

Wenn Vögel ihren Sang beginnen,
Wenn schöner Frühlingsmorgen tagt,
Erglühn zuerst des Berges Zinnen,
Der hoch, der himmelnächste, ragt;

Von seinen Zinnen fließt allmählig
Der Morgenstrahl zur Schlucht herein,
Bis endlich aufglänzt licht und selig
Das ganze Tal im Sonnenschein:

So ist vom Antlitz dieses Frommen,
Als er zum Volk begeistert spricht,
Der helle Strahl herabgekommen,
Und glüht auf jedem Angesicht. –

O daß der Strahl, der Gottesklare,
Erlischt und flieht, der Zeiten Raub!
Girolamo! dreihundert Jahre
Sind nachgeflogen deinem Staub!

Komm, segne mich mit deiner Nähe,
Und segne meines Liedes Klang,
Daß ich dein großes Herz verstehe,
Und nicht verletze im Gesang!

Laß weihend in die Seele fallen
Von jenem Strahl mir einen Schein,
Und laß ein leises Wiederhallen
Mein Lied von deinem Worte sein! –

»Die Zeit des Mitleids und der Güte,
Das ist die stille kühle Nacht,
Wenn über die versengte Blüte
Mit seinem Tau der Himmel wacht.

Die Zeit des Mondes und der Sterne,
Das ist die ungestörte Zeit
Des Heimwehs nach der stillen Ferne
Aus diesem Tal voll Schmerz und Streit.

Und war dein Herz am heißen Tage
Auch mit den Brüdern wild und rauh,
So kühlt es dir zu milder Klage
Die Nacht mit ihrem Tränenthau.

Dann kehrt zu seinem Heiligtume
Das sturmverschlagne Herz – und glaubt;
Dann richtet die geknickte Blume
Der Liebe auf ihr müdes Haupt.

Dann drängt es dich den Haß zu heilen,
Der kränkend deine Seele traf,
Und schnell zum Feinde hinzueilen
Und ihn zu wecken aus dem Schlaf,

Und dem Erstaunten und Gerührten
Zu sagen, daß den herben Groll
Die Tränen dieser Nacht entführten,
Und daß er auch dich lieben soll.

Wenn Nachts im Wald die Vögel schweigen,
Und wenn das Wild im Dickicht ruht,
Und wenn kein Windhauch in den Zweigen,
Dann hörst du einsam nur die Flut;

Du siehst den Quell zu Tale rinnen,
Er schimmert hell im Mondenschein,
Du denkst: »Ich muß wie er von hinnen,
Wär' ich wie er, so hell und rein!«

»Er treibt auf Erden seine Wogen
Und eilt ins heimathliche Meer,
Und ist, wie er einst ausgezogen,
So rein bei seiner Wiederkehr!«

Und wenn du Nachts am Waldesquelle
Dein sinnend Haupt wehmüthig senkst,
Und bei der klaren Silberwelle
An deinen trüben Wandel denkst;

Was kann die Trauer dir bezwingen
Im stillen Wald am Quell so klar?
Was hörst du aus den Wassern singen
Für Lieder, tröstend wunderbar?

Was hat den Balsam deiner Wunde,
Und deinem Schmerze Ruh gebracht?
Es ist die süße Friedenskunde
Aus einer längstvergangnen Nacht.

O Nacht des Mitleids und der Güte,
Die auf Judäa niedersank,
Als einst der Menschheit sieche Blüte
Den frischen Tau des Himmels trank!

O Weihnacht! Weihnacht! höchste Feier!
Wir fassen ihre Wonne nicht,
Sie hüllt in ihre heil'gen Schleier
Das seligste Geheimnis dicht.

Denn zöge jene Nacht die Decken
Vom Abgrund uns der Liebe auf,
Wir stürben vor entzücktem Schrecken,
Eh wir vollbracht den Erdenlauf. –

Der Menschheit schmachtendes Begehren
Nach Gott; die Sehnsucht tief und bang,
Die sich ergoß in heißen Zähren,
Die als Gebet zum Himmel rang;

Die Sehnsucht, die zum Himmel lauschte
Nach dem Erlöser je und je;
Die aus Prophetenherzen rauschte
In das verlassne Erdenweh;

Die Sehnsucht, die so lange Tage
Nach Gotte hier auf Erden gieng,
Als Träne, Lied, Gebet, und Klage:
Sie ward Maria – und empfieng.

Das Paradies war uns verloren,
Uns blieb die Sünde und das Grab;
Da hat die Jungfrau Ihn geboren,
Der das verlorne wiedergab;

Der nur geliebt und nie gesündet,
Versöhnung unsrer Schuld erwarb,
Erloschne Sonnen angezündet,
Als er für uns am Kreuze starb.

Der Hohepriester ist gekommen,
Der lächelnd weiht sein eignes Blut;
Es ist uns der Prophet gekommen;
Der König mit dem Dornenhut. –

Kennt ihr den Strauch im Waldesgrunde?
Kein Blümlein blüht in seiner Näh,
Kein Vogel singt in seiner Runde,
Den Wandrer faßt ein dunkles Weh!?

Wohl stürbe gern in seinem Grame
Der Strauch der jene Dornen trug;
Doch muß in alle Welt sein Same
Fortwandern mit dem Windesflug.

Nach seines Fluches altem Brauche
Geht Ahasver noch auf und ab,
Und bricht sich von dem Dornenstrauche
Alljährlich seinen Wanderstab.

Der Strauch – das ist das Finsterkalte
In der Natur, das nur versehrt;
Und Ahasver – das ist der alte
Unglaube, der stets irrefährt. – –

Naturvergöttrer! ihr Geäfften
Des Wahnes, wollt in Sumpf und Riet
Den Irrwisch an den Leuchter heften;
Er leuchtet nur, indem er flieht!

Allgöttler! eures Gottes Glieder
Streift hier vom Baum der Wintersturm;
Dort schießt den Gott ein Jäger nieder;
Hier nagt er selber sich als Wurm.

Als Tabernakel, voll Rubinen
Und Perlen, mit dem Sacrament,
Mag euch des Tigers Rachen dienen,
Der brüllend durch die Wüste rennt.

Und die Kinnlade eines Haien
Für euch als Bundeslade paßt,
Das Mordgebiss in Stachelreihen
Das heilige Gesetz umfaßt.

Und euer Engel, dessen Zeichen
Die Toten auferstehen ruft,
Ist die Hyäne, wenn sie Leichen
Bei Nacht aufwühlt aus ihrer Gruft! –

Noch immer lebt der alte Jude,
Durchflucht die Welt mit Saus und Braus;
Die Kirch' ist seine Gräuelbude,
Er läßt den Herrn nicht in sein Haus.

Und wo er trifft auf seinen Gängen
Die Wandrer mit der Kreuzeslast,
Muß er sie höhnen und bedrängen,
Weil er das Reich der Liebe haßt.

Geht hin nach Rom und hört die Mette
Zur Weihnachtsfeier, schaut euch an
Die Priester auf entweihter Stätte,
Mit Goldgewändern überthan.

Dort brennen tausend helle Kerzen,
Die Orgel dröhnt, es tönt Gesang;
Doch kalt und finster sind die Herzen,
Zerrissne Glocken ohne Klang.

O seht die thierischen Gestalten,
Wie am Altare dort und hier
Hantirend sie die Hände falten,
Zum Himmel blicken fremd und stier!

Der Eine liest, die Augen rollend,
Die Mess' in ungeduld'ger Hast,
Und dem Evangelisten grollend,
Daß er nicht kürzer sich gefaßt.

Ein Zweiter denkt mit heißer Stirne
Bei der Epistel an den Brief,
Der ihn zu einer schmucken Dirne
Für diese heil'ge Nacht berief.

Ein Andrer hört aus den Gesängen
Halloh! Gebell und Jägerhorn;
Er sieht den Hirsch im Walde sprengen,
Sein Herz fliegt nach durch Busch und Dorn.

Ein Andrer träumt in Spielgemächer
Sich an den Goldtisch, nimmersatt,
Er schwingt den Kelch wie Würfelbecher,
Die Hostie wie ein Kartenblatt.

Die Cerimonie wird als Fratze
Gedankenlos nun ausgekramt;
Ein Affe, sie mit Kopf und Tatze
Tiefsinnige Gebärden ahmt.

Und die Gemeinde, geistverlassen
Und herzverödet, drängt und gafft
Und sucht mit Wort und Wink zu fassen
Die Beute frecher Leidenschaft.

Schamlos geputzte Weiber schwirren
Umher im Tempel ohne Ruh,
Und lasterhafte Männer girren
Den Weibern süße Worte zu.

Der Fromme geht, die Brust voll Klage,
Aus solcher Kirchenschänderei;
Ihm tut sein Herz die düstre Frage:
Ist es mit Christus denn vorbei?

Ist dies ein Fest, daß er geboren,
Der wiedergab das Paradies?
Ist dies ein Fest, daß er verloren,
Und uns, ein schöner Traum, verließ?

Doch sollt ihr nicht dem Kummer glauben.
Kein Wort des Heilands wird verwehn;
Gott läßt sich seine Welt nicht rauben,
Und seine Kirche wird erstehn.

Ob euren modernden Gebeinen
Wird dann hinwandeln eine Schar
Von Priestern, wahren, frommen, reinen,
Und würdig dienen am Altar.

Die Herzen werden sich versöhnen
Einst unter Einem Freudenzelt,
Und die Natur wird sich verschönen,
In Liebe athmen wird die Welt.

Die Herzen werden sich verbünden,
Sich bringen jeden Gottesgruß,
Von Brust in Brust hinübermünden
Wird, Gott entströmt, ein Freudenfluß.

Und finden werden sie gemeinsam
Den Weg, das Leben und das Licht,
Was Keiner kann erringen einsam,
Wer nur sich selber Kränze flicht.

Zugvögel sammeln sich in Scharen,
Wenn sie empfinden in der Luft
Ein süß geheimes Offenbaren
Des Frühlings, der nach Süden ruft.

Vereinigt trotzen sie den Winden,
Daß keiner sie der Bahn entführt;
Vereinigt schärft sich ihr Empfinden,
Das in der Luft den Süden spürt.

So werden sich die Seelen einen
Im gleichen Geist und Glaubenszug,
Daß sie nach ew'gen Frühlingshainen
Vollbringen ihren Wanderflug.

So wird sich finden einst hienieden
Der Kirche traulicher Verein,
Wo Licht und Stärke, Freud' und Frieden
In Christo Allen wird gemein.

Ja! endlich wird die Stunde schallen,
Wo jener Strauch nur Rosen bringt,
Und wo ein Chor von Nachtigallen
Auf seinen sanften Zweigen singt.

Dann liegt der Stab des Abgemühten
Zerbrochen auf dem grünen Rain;
Dem Strauch zu Füßen unter Blüten
Wird Ahasver begraben sein.

Weitere gute Gedichte des Autors Nikolaus Lenau.