GedichtGedichte

Das Gedicht „Lobgesang am Neujahrsfeste“ stammt aus der Feder von Johann Gottfried Herder.

Ihm, der zehntausend Sonnenheere
Im Strahlenangesicht als Bräute schuf,
Dem jedes Jahr erklingt und jede Erde
Hüpft wie ein Elefant,

Dem tausend Frühlingschöre scherzen,
Die Schnitter singen und das Waldheer brüllt:
Dem jauchz', o Leier, himmelhohe Lieder,
Stolz, daß Dich Jehova hört!

Denn wenn die Morgensterne jauchzen
Und Erden hüpfen und die Jahrszeit singt,
Hört er im festlichen Koncert der Sphären
Noch gern Dein wimmernd Lied.

Drum tön' am neuen goldnen Jahre
Von goldnen Saiten ihm ein neues Lied!
Er gab dem Jahr das Allmachtshorn der Fülle
Und Balsam seinem Fuß.

Der hier ein Kriegsvolk satter Ähren
Und dort ein Blumenheer wie Jungfrau'n sprosst,
Daß Balsamwolken wandelten zum Himmel,
Ein Festgeruch dem Herrn:

Er krönte unser Jahr mit Palmen,
Daß Segensströme niedertaueten,
Er schloss die Stadt zum Fels, hob unsre Häuser
Hoch zu Palästen auf,

Umlagert' uns, statt Kriegesheeren,
Mit Schiffen – ja, rings um uns ward
Die Flur ein Paradies, da die Monarchin
Als Göttin zu uns kam.

Heil uns, wir sahn Sie, deren Adler,
So wie Aurorens goldne Flügel, Ruh
Auf uns herabgießt – sahn Sie, deren Zepter
Mit Weisheit Riga hält.

Drum jauchze, Land, dem Kronengeber,
Daß er Sie Dir geschenkt, daß Du Sie sahst!
Sing, Landmann, wenn Du mähst, Ihr Erntelieder,
Wo Sie als Ceres fuhr!

»Heil uns, wir streueten Ihr Kränze!«
So singt, Jungfrauen, einst zum Hochzeitsreihn!
Und Euer Bräut'gam sing': »Vor Ihr, der Sonne,
Blüht' ich zum Manne auf!«

»Zum Mann auch ich!« so hüpft der Jüngling.
»Zum Jüngling ich!« so lallt das Kind und drückt
Der Mutter Brust. Die jauchzt; der Ungeborne
Hüpft froh in ihrem Schoß.

Und sterbend hebt der Greis die Hände
Und segnet Sie, zum letzten neuen Jahr:
»Seht lange, lange Sie, mein Sohn und Enkel!
Ich aber geh' heut hin

Zum Friedensheer des vor'gen Jahres
Und küsse, Freude weinend, noch Ihr Bild!
Im Totenreich, mit allen meinen Brüdern,
Da segn' ich Ihr noch nach,

Bring' Ihres vor'gen Jahres Tage
Vor Gott, und höre Jeden Gnade schrein
Und Taten rühmen, edler als der Lorbeer,
Mit Brüderblut gedüngt.

Dann eilt ein neues Jahr zum Lohne
Als Segensbot' im Seraphsglanz herab,
Gießt Ihrem Adler schreckend Feu'r ins Auge,
Daß er sein Reich bedeckt,

Wo Grazien und Künste blühen
Und Tugend bis zum Himmel Blumen trägt.
Dann, Söhne, opfert Dank und lebt in Unschuld,
Daß einst Ihr sterbt wie ich!«

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