GedichtGedichte

Das Gedicht „Abschied von der Au“ stammt aus der Feder von Wolfgang Madjera.

Rot färben sich im Laub die Vogelbeeren
Und in den Lüften sammeln sich die Schwalben;
Der Abendsonne breite Strahlenschwingen
Sind schwer von gold'nem, kühlem Himmelstau
Und von den Wiesen schwebt im Silberhauch
Der sommermüden Erde leiser Atem.

Wie anders war's, du Liebste, als zuerst
In diese Au wir unsre Schritte lenkten!
Da quoll aus dem smaragdenen Gewirr
Allüberall milchweißer Blüten Flut,
Die heiße Luft erzitterte und bebte
Vom Flügelschlag der schwirrenden Insekten
Und in den Büschen lockte der Pirol.
Wir aber trugen aus dem Sturm des Lebens
Die zarte Blüte unsrer jungen Liebe
Hinaus und öffneten die Herzen weit,
Dem Feuerstrom der Lenzesluft entgegen.

Wir kamen durch die Au, wenn sie sich schmückte
Wie eine Königsbraut zum Tag der Hochzeit;
Wir floh'n sie nicht, wenn ihr aus tausend Augen
Die Tränen tropften und im Silbergrau
Der Weiden süß verschwieg'ne Seufzer hingen.
Nie wich der Wohlgeruch, der sie erfüllte:
Ihr Geist war Duft — und unser Geist war Liebe.

Sie hat uns lauschig trauliche Gemächer
Mit grünen Seidenpfühlen weich geziert
Und uns zu Häupten festliche Gewinde
Zum heit'ren Dach mit Künstlerhand geschlungen
In ihren liederreichen Vogelkehlen
Bewahrt sie unsre heißen Liebesworte
Und all der Jubel unsrer Kosestunden
Lebt im Gejauchz des Frühlings ewig fort.
In ihrem Schoß empfangen ruh'n die Tränen,
Die du an meiner Brust in schwerer Stunde
Geweint, als ein versunk'ner Perlenschatz,
Und Glockenblumen läuten, wo er liegt.

Gedenkst du noch, wie wir im ersten Dämmern
Aus eines Laubgangs flüsterndem Gewölbe
An die verborg'ne Wiese plötzlich kamen?
Rings wehte sanft in Busch und Baum der Abend,
Im Äther glitzerte sein lichter Stern —
Wir standen still und lauschten unsren Herzen.
Da regte sichs am Waldesrand — ein Reh,
Das dort gegrast, hob seinen schlanken Hals
Und sah dich an mit großen, braunen Rugen.
Was war nur, daß es nicht von dannen lief
Und wie bezaubert sich an dir entzückte?
Die Fee des Waldes glaubt' es zu erkennen
In deiner lieblich zarten Huldgestalt,
Wie sie an des erkornen Ritters Seite
Zu segnen durch die Au geschritten käme.

Ja, wie ein Märchen geht's durch meine Seele,
Denk' ich der Sommertage, hier verbracht,
Und wenn ich dich, unsagbar liebes Weib,
An meiner Brust, in meinen Armen halte,
Ist mir, wie jenem Reh: in dir erblick' ich
Den überird'schen Schutzgeist meines Lebens.
Was wir gekämpft, gelitten und genossen,
Wird Licht und Duft, Waldgrün und Himmelsblau,
Wird eine Welt, in deren Wundergarten
Wir träumend wandeln, ohne zu erwachen,
Die in uns prangt und dennoch uns umschließt.
Und wenn die Au der Wintersturm durchtobt,
Kein Lied von kahlen Ästen klingt und Schnee
Die Pfühle deckt, auf denen wir geruht,
Flammt, blüht und jubiliert in unsren Herzen
Der Lenz, von dem des Erdensommers Pracht
Nur ein vergänglich, unzulänglich Bild!

Anmerkung: Ein Pfühl ist ein großes, weiches Kissen.

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