GedichtGedichte

Das Gedicht „Nachruf an Nietzsche“ stammt aus der Feder von Richard Dehmel.

Und es kam die Zeit,
daß Zarathustra, auferstanden,
aus seiner Höhle niederstieg vom Berge;
und viel Volkes
küßte seine Spuren.
Der Jünger aber, der ihn liebte,
stand von ferne,
und der Meister kannte ihn nicht.
Und der Jünger trat zu ihm und sprach:
Meister, was soll ich tun,
daß ich selig werde?
Zarathustra aber wandte sich
und schaute hinter sich,
und seine Augen wurden fremd,
und gab zur Antwort:
folge mir nach!
Da ward der Jünger sehend
und verstand den Meister:
folgte ihm
und verließ ihn.

Als er aber seines Weges wanderte,
ging er in sich
und sprach also zu seiner Sehnsucht:
Wahrlich, Viele sind,
deren Zunge trieft vom Namen Zarathustras,
und im Herzen beten sie
zum Gotte Tamtam;
allzu früh erschien er diesem Volk.
Seinen Adler sahen sie fliegen,
der da heißt
der Wille zur Macht
über die Kleinen;
und seine Schlange nährten sie an ihrer Brust,
die Schlange Klugheit.
Aber seiner Sonne ist ihr Auge blind,
die da heißt
der Wille zur Macht
über den Einen: den Gott Ich.
Wiedergeburten feiern sie
und Wiedertaufen aller Götzen,
aber Keiner wußte noch
sich selber zu befruchten
und seinem Samen jubelnd sich zu opfern.
Der Du Deinen Opferwillen lehrtest,
fahr denn wohl! gern hätt ich dir
dein letztes Won vom Mund geküßt,
du lächelnder Priester des fruchtbaren Todes.
Aber wir leben,
und mancher Art sind
die Sonnenpfeile und Blumengifte
des fruchtbaren Todes.
Ach, daß dein Jünger dir
zu spät erschien! -

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