GedichtGedichte

Das Gedicht „O Heiland, reiß die Himmel auf“ stammt aus der Feder von Friedrich Spee.

O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf,
reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloss und Riegel für.

O Gott, ein’ Tau vom Himmel gieß,
im Tau herab, o Heiland, fließ.
Ihr Wolken, brecht und regnet aus
den König über Jakobs Haus.

O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd,
dass Berg und Tal grün alles werd.
O Erd, herfür dies Blümlein bring,
o Heiland, aus der Erden spring

Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,
komm, tröst uns hier im Jammertal.

O klare Sonn, du schöner Stern,
dich wollten wir anschauen gern;
o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein
in Finsternis wir alle sein.

Hier leiden wir die größte Not,
vor Augen steht der ewig Tod.
Ach komm, führ uns mit starker Hand
vom Elend zu dem Vaterland.

Analyse

Das Gedicht "O Heiland, reiß die Himmel auf" (1622; Epoche des Barock) besteht aus 6 Strophen mit jeweils 4 Versen.

Eine 7. Strophe wurde später in der Sammlung "Alte und Newe Geistliche Catholische außerlesene Gesäng" (1630; Würzburg) hinzugefügt. Dies geschah wahrscheinlich auf Befehl des Fürstbischofs Philipp Adolf von Ehrenberg.

Da wollen wir all danken dir,
unserm Erlöser, für und für;
da wollen wir all loben dich
zu aller Zeit und ewiglich.

Inhalt / Zusammenfassung

Das Lied thematisiert, typisch für den Barock, das Leitmotiv des Advent, und die Sehnsucht nach dem Erlöser (auch vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Kriegs, der Pest und der Hexenverfolgung).
Es basiert auf einem Vers aus dem Buch Jesaja, im lateinischen Text aus der Vulgata, den der Autor kannte: "Rorate coeli de super, et nubes pluant justum: aperiatur terra, et germinet Salvatorem" (Tauet, ihr Himmel, von oben, und die Wolken mögen den Gerechten regnen: es öffne sich die Erde, und sie sprieße den Heiland), der im gregorianischen Choral Rorate caeli vertont wurde.
Der Anfang ist mit einem anderen Vers von Jesaja verwandt: "Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen" Ab der vierten Strophe treten die Gläubigen als "wir" auf und beschreiben die elenden Zustände, die es zu ändern gilt.

„Das Lied ist kein Klingeling. Es ist der bittere Ruf nach Gerechtigkeit; es ist die Klage darüber, dass Weihnachten nicht kommt, obwohl es im Kalender steht. Die Klage legt die Enttäuschung frei und bricht der Sehnsucht Bahn. Sie ist der Versuch, sich zu wehren gegen kollektiven Wahn. Spee flieht nicht, auch nicht in simple Antworten. Er konnte den Terror nicht stoppen; aber er konnte tun, was ein Einzelner tun kann: ihn anklagen. Das hat er getan: Er hat es nicht bei Forderungen an den himmlischen Heiland belassen; er wurde zum Widerständler, zum Whistleblower des 17. Jahrhunderts. Sein Trostschrei-Lied ist an Weihnachten 2016 so erschütternd wahr wie 1622.“ [Quelle: Leitartikel des Literaturkritikers Heribert Prantl in der Ausgabe der Süddeutschen Zeitung zu Weihnachten 2016]

Hintergrund

Bearbeitungen des kirchliches Adventslied finden sich u. a. bei Johannes Brahms, Johann Nepomuk David, Hugo Distler, Johannes Weyrauch oder Richard Wetz (Weihnachtsoratorium).
Siehe auch das später entstandene Gedicht von Novalis (1772 - 1801; Pseudonym von Friedrich von Hardenberg) mit dem Titel "Wo bleibst du Trost der ganzen Welt".

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