GedichtGedichte

Das Gedicht „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen“ stammt aus der Feder von Rainer Maria Rilke.

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.

Analyse

Das Gedicht „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen“ (1899; Epoche der Moderne) besteht aus 2 Strophen mit jeweils 4 Versen. Das Reimschema besteht aus Kreuzreimen [abab cdcd]. Das Versmaß ist nicht durchgängig, es kommen Daktylus und Anapäst vor. Der erste und der dritte Vers enden mit einer weiblichen Kadenz, der zweite und der vierte Vers mit einer männlichen Kadenz. In der zweiten Strophe sind die Kadenzen ausschließlich männlich.

Hintergrund

In der Botanik ist ein Jahresring (auch Wachstumsring oder Baumring genannt), ein konzentrischer Kreis auf dem Querschnitt des Stammes eines Baumes, der jedes Jahr vom Kambium gebildet wird und durch den Unterschied in der Färbung zwischen dem hellen Frühholz der Wachstumsphase und dem dunklem Spätholz (höherer Anteil an Lignin) sichtbar wird.
Die Jahresringe sind umso ausgeprägter, je stärker das Klima jahreszeitlich wechselt, und sind in äquatorialen Klimazonen weniger stark ausgeprägt oder fast nicht vorhanden.

Rilke lernte die weitgereiste und intellektuelle Literatin Lou Andreas-Salomé 1897 in München kennen und verliebte sich in sie. Auf Salomés Drängen hin änderte er seinen Vornamen von "René" in "Rainer", weil sie diesen Namen für männlicher, kraftvoller und germanischer hielt.

Im Jahr 1899 reiste Rilke mit Lou und ihrem Mann, Friedrich Carl Andreas, nach Moskau, wo er den Schriftsteller Leo Tolstoi kennenlernte. Zwischen Mai und August 1900 führte ihn eine zweite, nur von Lou begleitete Russlandreise erneut nach Moskau und Sankt Petersburg, wo er die Familie von Boris Pasternak und Spiridon Drozhzhin, einem Bauerndichter, kennenlernte. Die Kultur Böhmens und Russlands hinterließen tiefgreifende Einflüsse auf Rilkes Poesie und sein Bewusstsein.

Im Jahr 1900 hielt sich Rilke in der Künstlerkolonie Worpswede auf. Sein Porträt wurde später von der Expressionistin Paula Modersohn-Becker gemalt, die er dort kennengelernt hatte. Hier machte er auch die Bekanntschaft der Bildhauerin Clara Westhoff , die er im folgenden Jahr heiratete. Die gemeinsame Tochter Ruth (1901-1972) wurde im Dezember 1901 geboren.

Im Jahr 1905 erschien sein "Stundenbuch" mit nachdenklichen, nicht selten religiösen Gedichten, wodurch er bald eine große Popularität erreichte. Die zumeist eingängigen, teils ekstatischen, teils melancholischen Verse prägten das Bild vom prophetischen Dichter Rilke nachhaltig.

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