GedichtGedichte

Das Gedicht „Mewlana Dschelaleddin Rumi“ stammt aus der Feder von Friedrich Rückert.

I

1.

Solang' die Sonne nicht den Nachtflor bricht,
Sind Tagesvögel ohne Zuversicht.
Der Blick der Sonne ruft die Tulpen auf;
Jetzt ist, o Herz, dir zu erwachen Pflicht.
Das Sonnenschwert gießt aus im Morgenrot
Das Blut der Nacht, von der es Sieg erficht.
Voll Schlafs das Auge, sprach ich: »Es ist Nacht.«
Er sprach: »Vor meinem Angesichte nicht.«
Solang' es graut, ist zweifelhaft der Tag;
Am hellen Tag, wer zweifelt noch am Licht?
Im Osten steht das Licht, ich steh' im West,
Ein Berg, an dessen Haupt der Schein sich bricht.
Ich bin der Schönheitssonne blasser Mond;
Schau weg von mir, der Sonn' ins Angesicht!
Dschelaleddin nennt sich das Licht im Ost,
Des Wiederschein euch zeiget mein Gedicht.

2.

Zum Himmel thu' ich jede Nacht den Liebesruf,
Der Schönheit Gottes voll, mit Macht den Liebesruf.
Mir jeden Morgen Sonn' und Mond im Herzen tanzt,
Zu Sonn' und Mond tu' ich erwacht den Liebesruf.
Auf jeder Au' erglänzt ein Strahl von Gottes Licht,
Ich tu' an Gottes Schöpferpracht den Liebesruf.
Die Turteltaub' im Laub, erweckt von meinem Gruß,
Tut mir entgegen girrend sacht den Liebesruf.
Dem Felsen, der zu deinem Preis mit Licht sich krönt,
Zuruf' ich, und er nimmt in acht den Liebesruf.
Dir thu' ich für die Blum' im Feld, die schüchtern schweigt,
Fürs Würmlein, das du stumm gemacht, den Liebesruf.
Das Weltmeer preist mit Rauschen dich, doch ohne Wort;
Ich hab' in Worte ihm gebracht den Liebesruf.
Dir thu' ich als das Laub am Baum, als Tropf' im Meer,
Dir als der Edelstein im Schacht den Liebesruf.
Ich ward in allem alles, sah in allem Gott,
Und tat, von Einheitglut entfacht, den Liebesruf.

3.

Ich sah empor und sah in allen Räumen eines;
Hinab ins Meer und sah in allen Wellenschäumen eines.
Ich sah ins Herz, es war ein Meer, ein Raum der Welten,
Voll tausend Träum'; ich sah in allen Träumen eines.
Du bist das Erste, Letzte, Äußre, Innre, Ganze;
Es strahlt dein Licht in allen Farbensäumen eines.
Du schaust von Ostens Grenze bis zur Grenz' im Westen,
Dir blüht das Laub an allen grünen Bäumen eines.
Vier widerspenst'ge Tiere ziehn den Weltenwagen;
Du zügelst sie, sie sind an deinen Zäumen eines.
Luft, Feuer, Erd' und Wasser sind in eins geschmolzen
In deiner Furcht, daß dir nicht wagt zu bäumen eines.
Der Herzen alles Lebens zwischen Erd' und Himmel,
Anbetung dir zu schlagen soll nicht säumen eines!

4.

Wohl endet Tod des Lebens Not,
Doch schauert Leben vor dem Tod.
Das Leben sieht die dunkle Hand,
Den hellen Kelch nicht, den sie bot.
So schauert vor der Lieb' ein Herz,
Als wie von Untergang bedroht.
Denn wo die Lieb' erwachet, stirbt
Das Ich, der dunkele Despot.
Du laß ihn sterben in der Nacht,
Und atme frei im Morgenrot.

5.

Ihr Augen, geht, den Lenz zu schauen,
Der lächelnd liegt auf unsern Auen.
Ein Himmelskind in Blumenwiegen,
Gesäugt von Milch der Wolkenfrauen.
Die Ostluft ist die Amm' und schaukelt
Die Wiege mit dem Hauch, dem lauen.
Das Kindlein tut, als schlaf' es, blinzet
Mit seinen Äugelein, den schlauen.
Und wie's die Augen aufgeschlagen,
Träuft Tau von seinen Augenbrauen.
Und Bienen kommen, saugen emsig
Den Tau, aus dem sie Honig brauen.
O kommt und laßt euch doch vom Lächeln
Des Himmelkindleins auch durchtauen.
O kommt aus euern dumpfen Zellen,
Die euch des Himmels Licht verbauen.
Laßt uns die Zell' aus Wachs und Honig
Sechseckig, wie die Bienen, bauen.
Erwarmt am bunten Blumenfeuer,
Und laßt die Aschen ruhn, die grauen.
Die Buß' ist tot, die Liebe lebet,
Ihr Atem weht in unsern Gauen.
Geht in des Frühlings Liebeschenke,
Trinkt seines Weines ohne Grauen;
Auf daß ihr liebestrunken werdet,
Eu'r Herz sich öffne mit Vertrauen.
Die Lieb' ist wach an Erd' und Himmel,
Im Grünen Rose, Sonn' im Blauen.
O Nachtigall, sieh deine Rose;
Du Adler sollst zur Sonne schauen.

6.

Ich sah, wie auf zur Sonne sich schwang ein Adelaar,
Und wie im Schatten girrte ein Turteltaubenpaar.
Ich sah, wie Wolkenherden der Ost am Himmel trieb,
Und auf der Flur dem Hirten sich stellten Lämmlein dar.
Ich hörte Sterne fragen: »Wann sollen wir entstehn?«
Und Keim im Körnchen: »Sollen wir schlafen immerdar?«
Ich sah ein Gras am Morgen erblühn und vor der Nacht
Verblühn und Zedern trotzen den Stürmen tausend Jahr.
Ich sah des Weltmeers Wogen wie Kön'ge schaumgekrönt,
Vorm Fels sich niederwerfen wie Beter am Altar.
Ich sah ein Tröpflein funkeln, Juwel am Sonnenstrahl,
Das, aufgeglüht zu werden, nicht scheute die Gefahr.
Ich sah im Menschenwimmeln sich Städt' und Häuser baun,
Und Hügelein zu häufen sich mühn Ameisenschar.
Ich sah das Roß des Krieges zertreten Stadt und Land,
Daß seine Hufe wurden vom Blute rosenfar.
Ich sah den Winter weben aus Flocken ein Gewand
Der Erde, die der Frühling verlassen nackt und bar.
Den Webstuhl hört' ich sausen, der Sonnenschleier wob,
Und sah ein Räuplein weben sein Grab aus Fädlein klar.
Ich sahe Groß' und Kleines, und sah auch Kleines groß;
Denn Gottes Gleichnis sah ich in allem, was da war.

7.

Unser Haus hat viele Türen,
Die hinein zum Herren führen.
Wer den Herrn sieht, muß anbetend
Mit der Stirn den Boden rühren.
Viel' im Haus sind blind geboren,
Die des Herrn Gebot doch spüren.
Auch den Lahmen sind gegeben
Hausgeschäfte zu vollführen.
Selbst der Wind mit kaltem Atem
Muß des Hauses Feuer schüren.
Tun muß jeder, was ihm obliegt,
Wahl hat keiner, selbst zu küren.
Mancher wähnt sich frei und siehet
Nicht die Bande, die ihn schnüren.
Trägest du dein Band in Demut,
Wird es dir zu Blumenschnüren.
Schwöre Treu'! und Gnad' antwortet
Dir mit höchsten Liebeschwüren.
Knecht im Hause! gegen deinen
Mitknecht will kein Stolz gebühren.
Sei verträglich! denn der Herr hat
Keine Freud' an Ungebühren.
Wer darf trotzig Einlaß fordern,
Den nicht Er ein lässet führen?
Wer kann mit dem Hausherrn hadern,
Den er stößt aus seinen Türen?

8.

Tag ist's, auf, steh auf, o Jüngling Muselmane!
Packe dein Gerät und komm zur Karawane.
Horch, o horch, sie ziehet schon, indes du schläfest.
Horch! ihr Glöcklein, daß es nicht zu spät dich mahne!
Wann der Wüste Sand verweht hat ihre Spuren,
Hoffe nicht, daß sie dein Fußtritt wieder bahne.
Auf dich raffe! sei ein Mann, ein Held, ein Kämpe,
Bringe nicht das Leben hin in eitlem Wahne.
Sei gedenk des Ahnenstammes, Perserjüngling,
Wie Rostem ein Held, wie Sal ein Pehlewane.
Mann des Lichtes, Held des Rechtes, Sonnenkämpe!
Falle nicht anheim dem dunklen Ahrimane.
Wenn du hast die ird'sche Seel' im Kampf getötet,
Schwingt die himmlische des Lebens Siegesfahne.
Wann du dich demütigtest zum Staub der Schwelle,
Wirst du Siegelring in unsres Schachs Diwane.

9.

Die Liebe rief vom Himmelsthor:
»Wer ist, der schaut zu Gott empor?«
»Wir sind, die schaun empor zu Gott«,
Rief zu der Lieb' ein Priesterchor.
Die Liebe rief: »Wie könnt ihr schaun?
Vor eurem Antlitz hängt ein Flor,
Ein Flor, gewebt aus Gier und Haß,
Durch den das Licht den Schein verlor.
Vor eurem trüben Blicke nimmt
Die Sonne Wolkenschleier vor.
Die Gnade, die auf Wolken sitzt,
Schließt eurem dumpfen Ruf ihr Ohr,
Und die Erhörung steiget nicht
Herab, die eu'r Gebet beschwor.
O tut, eh' ihr zum Himmel schaut,
Euch Erdedunkels ab zuvor.
Statt Gier und Haß nehmt Lieb' ins Herz
Und schaut zur Gottheit dann empor.«

II

1.

Mit deiner Seele hat sich meine
Gemischt wie Wasser mit dem Weine.
Wer kann den Wein vom Wasser trennen,
Wer dich und mich aus dem Vereine?
Du bist mein großes Ich geworden,
Und nie mehr will ich sein dies kleine.
Du hast mein Wesen angenommen,
Sollt' ich nicht nehmen an das deine?
Auf ewig hast du mich bejahet,
Daß ich dich ewig nie verneine.
Dein Liebesduft, der mich durchdrungen,
Geht nie aus meinem Mark und Beine.
Ich ruh' als Flöt' an deinem Munde,
Als Laut' in deinem Schoß alleine.
Gib einen Hauch mir, daß ich seufze,
Gib einen Schlag mir, daß ich weine.
Süß ist mein Weinen und mein Seufzen,
Daß ich der Welt zu jauchzen scheine.
Du ruhst in meiner Seele Tiefen
Mit deines Himmels Widerscheine.
O Edelstein in meinen Schachten,
O Perl' in meinem Muschelschreine.
Mein Zucker ist in dir zerschmolzen,
O Milch des Lebens, milde, reine;
Und unsre beiden Süßigkeiten
Genießet Kindermund als eine.
Du preßtest mich zu Rosenwasser,
Nicht seufzt' ich unter deinem Steine.
In deiner süßen Qual vergaß ich,
Daß ich die Rose war am Raine.
Da brachtest du an deinen Kleidern
Mich mitten unter die Gemeine;
Und als du auf die Welt mich gossest,
Ward sie zu einem Rosenhaine.

2.


Zur Sonne schaut der Aar mit Mut,
Die weh dem Eulenauge tut.
Doch dir genüber, höchste Sonn',
Ist Eule gleich und Adlerbrut.
Was ist die blöde Seele, die
Blinzend nach dir das Aug' auftut!
Die Kerz' umkreist der Schmetterling,
Planeten wandeln lichtbeschuht.
Planet und Schmetterling ist eins,
O höchstes Licht, in deiner Hut.
Was ist die kühne Seele, die
Dich zu umkreisen niemals ruht?
Die Flamme zehret trocknes Holz,
Das feuchte ist dazu nicht gut.
Doch feucht' und trocknes Holz ist eins,
O höchste Flamm', in deiner Glut.
Die Fluten löschen Gluten aus,
In deinen Gluten brennt die Flut.
Unliebe selbst zu lieben, halt',
O Liebe, dich nur nicht zu gut!
Du bist nicht Glut, wenn du nicht zwingst
Des spröden Stoffes Trotz und Wut:
Brich das verstockte Herz der Welt
Und bring in Fluß das starre Blut!

3.

Laß mein Streben dir gefallen
Und mich strebend weiter wallen!
Laß mich stehn durch deine Huld, wo
Ich durch meine Schuld gefallen.
Von des Berges Gipfel glänzen
Mir entgegen deine Hallen;
Und die heil'gen Chorgesänge
Hör' ich mir entgegenschallen.
Laß den Glanz und laß den Klang nicht,
Eh' ich nah', in Duft zerwallen;
Hüben ich, du drüben! laß mich
Von der Kluft zurück nicht prallen.
Zeige, die mich drüber trage,
Mir die Brücke von Kristallen!
Und dem Abgrundsungeheuer,
Schwindel, seien stumpf die Krallen.
Meiner Pilgerreise Schritte
Zähl' ich ab an Betkorallen;
Wie den Rosenkranz der Himmel
Betet ab an Sonnenballen.
Manches hab' ich nicht verstanden,
Das ich wagte nachzulallen:
Also singen dir zum Preise
Unverstandnes Nachtigallen;
Also lernen Kinder reden,
Welche lieb dir sind vor allen.

4.

Höchste Liebe, wo du thronest, laß vor deinem Throne knien
Meine schönsten, ewig deinem Thron geweihten Melodien!
Wenn sie wohlgefällig deinem Ohre tönen, wenn die Kraft
Auch in deine Seele wirket, die du ihnen hast verliehn;
Laß sie danken, laß sie beten, laß sie fragen, laß sie flehn:
Wo ist, der ein Stern auf Erden mir aus deiner Höh' erschien?
Der, sein Haupt mit deinen Rosen kränzend und sein Saitenspiel,
Liebetrunken mir vorüberzog, um mich dir nach zu ziehn;
Der in wallenden Gewanden, am gebrochnen Säulenschaft
Lehnend, Lieder strömt', auf deren Wog' er selber wollt' entfliehn;
Wo ist der dir Zugeflohne? Sag' mir's, Liebe, wie du einst
Ihn beseligt hast auf Erden, wo du nun beseligst ihn?
Wo, Volkstrachten ausgezogen, Stammabzeichen abgelegt,
Schmelzen Kastenunterschied' in deinen ew'gen Harmonien;
Wo ist unter allen Heil'gen aller Zonen (Heil sei dir,
Heilig mir sein Angedenken!) Mewlana Dschelaleddin!

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