GedichtGedichte

Das Gedicht „Siebenhundert Intellektuelle beten einen Öltank an“ stammt aus der Feder von Berthold Brecht.

Ohne Einladung
Sind wir gekommen
Siebenhundert (und viele sind noch unterwegs)
Überall her,
Wo kein Wind mehr weht,
Von den Mühlen, die langsam mahlen,
Und den Öfen, von denen es heißt,
Daß kein Hund mehr vorkommt.

Und haben dich gesehen
Plötzlich in der Nacht,
Öltank.

Gestern warst du noch nicht da,
Aber heute bist nur du mehr.

Eilet herbei, alle
Die ihr abgesägt den Ast, auf dem ihr sitzet,
Werktätige!
Gott ist wiedergekommen
In Gestalt eines Öltanks.

Du Häßlicher,
Du bist der Schönste,
Tue uns Gewalt an,
Du Sachlicher!

Lösche aus unser Ich!
Mach uns kollektiv!
Denn nicht wie wir wollen
Sondern wie du willst.

Und bist du nicht gemacht aus Elfenbein
Und Ebenholz, sondern aus
Eisen.
Herrlich, Herrlich, Herrlich!
Du Unscheinbarer!

Du bist kein Unsichtbarer,
Nicht Unendlich bist du!
Sondern sieben Meter hoch.
In dir ist kein Geheimnis
Sondern Öl.
Und du verfährst mit uns
Nicht nach Gutdünken, noch unerforschlich
Sondern nach Berechnung.

Was ist für dich Gras?
Du sitzest darauf.
Wo ehedem Gras war
Da sitzest jetzt du, Öltank,
Und vor dir ist ein Gefühl
Nichts.

Darum erhöre uns
Und erlöse uns von dem Übel des Geistes
Im Namen der Elektrifizierung
Der Ratio und der Statistik!

Analyse

Das Gedicht "700 Intellektuelle beten einen Öltank an" (1928; Epoche der Neuen Sachlichkeit) besteht aus 10 Strophen. Die Verslänge variiert stark. Ein Metrum oder Reimschema ist nicht auszumachen.
Für sich stehen die Begriffe: "Öltank", "Werktätige", "Eisen", "Nichts".

Inhalt

Es handelt sich quasi um eine Kontrafaktur (Umdichtung eines Liedes oder eines literarischen Werkes unter Beibehaltung bestimmter formaler Bestandteile) eines Gebets.
Die zunehmende Abhängigkeit des Menschen in der modernen Gesellschaft von Konsum und Technik werden satirisch auf die Spitze getrieben, und einer "Religion" gleichgestellt.

Im ersten Petrusbrief wird der Mensch mit dem "Gras" verglichen:
Ja, es stimmt: »Die Menschen sind wie das Gras, und ihre Schönheit gleicht den Blumen: Das Gras verdorrt, die Blumen verwelken.«

Hintergrund

Das Gedicht stammt aus dem Gedichtband "Lesebuch für Städtebewohner" und zählt zu meinen Lieblingsgedichten. Es enthält auf ironische Weise das Motiv des "goldenen Kalbs" aus der Bibel. Kritisch betrachtet werden, die für die damalige Zeit, neuen industriellen Arbeitsformen (ganz im Sinne von Karl Marx) und der Umgang der sogenannten Intellektuellen damit, die (im Gegensatz zu Kant) nach einer neuen Religion (bzw. Götzen) suchen.

Brecht hatte die Gabe den "Menschen" sehr genau zu beobachten und all sein (merkwürdiges) Verhalten dann in wenigen Zeilen treffend zum Ausdruck zu bringen.
Seine Gedichte zeugen von einer unbändigen Kraft, scharfsinniger Analyse, Kritik und Tiefsinn und sind trotzdem leicht verständlich und sprachlich ausgefeilt.

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