GedichtGedichte

Das Gedicht „An die Hoffnung“ stammt aus der Feder von Christoph August Tiedge.

1

Ob ein Gott sei? Ob er einst erfülle,
Was die Sehnsucht weinend sich verspricht?
Ob, vor irgend einem Weltgericht,
Sich dies rätselhafte Sein enthülle?
Hoffen soll der Mensch! Er frage nicht!

Die du so gern in heil'gen Nächten feierst
Und sanft und weich den Gram verschleierst,
Der eine zarte Seele quält,
O Hoffnung, lass, durch dich empor gehoben,
Den Dulder ahnen, dass dort oben
Ein Engel seine Tränen zählt!

Wenn, längst verhallt, geliebte Stimmen schweigen;
Wenn unter ausgestorbnen Zweigen
Verödet die Erinnrung sitzt:
Dann nahe dich, wo dein Verlassner trauert,
Und, von der Mitternacht umschauert,
Sich auf versunkne Urnen stützt.

Und blickt er auf, das Schicksal anzuklagen,
Wenn scheidend über seinen Tagen
Die letzten Strahlen untergehen:
Dann laß ihn um den Rand des Erdentraumes
Das Leuchten eines Wolkensaumes
Von einer nahen Sonne sehn!

2

Hoffnung ist ein Morgenschimmer,
er ergießt ein goldenes Licht;
doch der goldne Tag kommt nimmer,
den der frühe Glanz verspricht.

Hoffnung ist ein Blütengarten,
welchen Zauberluft durchstreift,
wo die Frucht, so wir erwarten,
immer lockt und nimmer reift.

3

Die du so gern in heil´gen Nächten feierst
Und sanft und weich den Gramverschleierst,
Der eine zarte Seele quält,
O Hoffnung! Lass, durch dich empor gehoben,
Den Dulder ahnen, dass dort oben
Ein Engel seine Tränen zählt!

Wenn, längst verhallt, geliebte Stimmen schweigen;
Wenn unter ausgestorb´nen Zweigen
Verödet die Erinn´rung sitzt:
Dann nahe dich, wo dein Verlass´ner trauert
Und, von der Mitternacht umschauert,
Sich auf versunk´ne Urnen stützt.

Und blickt er auf, das Schicksal anzuklagen,
Wenn scheidend über seinen Tagen
Die letzten Strahlen untergehn:
Dann laß ihn um den Rand des Erdentraumes
Das Leuchten eines Wolkensaumes
Von einer nahen Sonne seh´n!

Anmerkung: Ludwig van Beethoven vertonte 1804/05 aus Urania das Gedicht An die Hoffnung (op. 32) und überarbeitete und erweiterte diese Liedkomposition im Jahr 1813 (op. 94).

Christoph August Tiedge

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