GedichtGedichte

Das Gedicht „Große deutsche Literaturballade (*)“ (Untertitel: hinterlassen vom alten Schulmeister Gottlieb Biedermeier und seinem Freunde Buchbinder Horatius Treuherz) stammt aus der Feder von Ludwig Eichrodt.

Gegen Abend in der Abendröte,
Ferne von der Menschen rohem Schwarm,
Wandelten der Schiller und der Goethe,
Oft spazieren Arm in Arm.
Sie betrachteten die schöne Landschaft,
Drückten sich die großen edeln Händ',
Glücklich im Gefühl der Wahlverwandtschaft,
Unterhielten sie sich exzellent.

Dieser war schon etwas grau von Haaren,
Jener zwar nicht weit vom frühen Grab,
Aber grad in seinen besten Jahren,
Als ein Dichter und geborner Schwab.
Keiner mocht dem Andern was verhehlen,
Sie vertauschten ihre Lorbeerkränz',
Und die wunderschöne Harmonie der Seelen,
Trübte keine einz'ge Konvenienz.

Sehen Sie, so redete der Goethe,
Dort die schöne Pflanze in dem Gras,
Jenes Steingebilde, diese Kröte,
Dort der Schmetterling und dies und das.
Und die Sonn'! erwiderte verwundert
Drauf der Schiller, sehen Sie, o Freund,
Eben, sehn Sie, eben geht sie unter –
So hab' ich's im Räuber Moor gemeint.

Und ein andermal begann der Schiller,
Als sie wandelten am Wiesenbach,
Und der Goethe wurde immer stiller,
Während der entzückte Schiller sprach;
Sehen Sie, wie diese Wellen fließen
Ohne Rast und ohne Ruh dahin,
Wie die Menschen alle wandern müßen,
Und die Zeiten unaufhaltsam fliehn!

Herrlich ist, was Sie mir da bemerkten,
Gab der Goethe seinem Freund zurück,
Glauben Sie, dass Sie mir nur bestärkten
Meine Ansicht von der Menschheit Glück.
Alles seh' ich gleichsam in dem Wasser:
Form, und Ordnung, Maßstab, und Bezug;
Vieles Trefflichen bin ich Verfasser,
Doch am Ende sei's gerad genug.

»Alexander und Homerus starben,
Dieses ist das Los von Allem fast;«
Und was meinen Sie denn von den Farben,
Welchen ich so sorgsam aufgepasst?
»Geht es Ihnen auch so sehr zu Herzen,
Herr Geheimrat, das Ideal?«
Mich ergreift, ich weiß nicht soll ich scherzen,
Himmlisches Behagen auf ein Mal!

Unter solchen göttlichen Gesprächen
Schritten die verklärten Dichter oft
Auf des Waldes unbetretnen Stegen
Bis es dunkel wurde unverhofft;
Und die weltberühmtesten der Verse,
Machten miteinander unterwegs,
So der Dichter Tells und der des Lerse,
Eingedenk des großen Künstlerzwecks.

Manchmal blieben sie auf einmal stehen,
Wie in plötzlicher Versteinerung,
Tief durchschauert von dem heil'gen Wehen
Gegenseitiger Bewunderung.
Auf dem Rücken faltete die Hände
Dann der Goethe, eh' man sich's versah,
Und so ganz in seinem Elemente
War der große Schiller da.

Hochbegeistert schwebten sie nach Hause –
Jener brannte schon vor Ungeduld,
Dieser knitterte an seiner Krause,
Bis er stand vor seinem Schreibepult.
Sehe nun ein Jeder wie er's treibe!
Sprach der Ältre zu dem Jüngeren,
Der versetzte mit verneigtem Leibe,
Geh du rechtwärts, laß mich linkwärts gehn!

Mäuschenstill und sackendunkel war es,
Nur die Lampe brannte wieder hell
In den Zellen unsres Dichterpaares,
Freundlich wie der Wahrheit laut'rer Quell.
Und bis zu der nächsten Morgenröte
Schrieb der Schiller an dem siebten Band,
Und den dreißigsten diktiert' der Goethe,
Seinem Sekretär noch in die Hand.

Fragt ihr nun, ihr lieben deutschen Brüder,
Welche Lehr' aus diesem hohen Lied,
Welche Lehr' aus diesem Lied der Lieder
Der vernunftbegabte Leser zieht?
Ach, so können wir's nicht gründlich sagen,
Dieses zu erfahren, müssten wir
Einen Schiller oder Goethe fragen,
Denn der kleine Mensch verstummet hier.

Kleiner Mensch, der du im Weltgewühle
Wie ein Tropfen in dem Meer vergehst,
Und im nichts durchbohrenden Gefühle
Vor dem eignen Werk erschrocken stehst,
Flötetest du gleich mit Engelszungen,
Blieben deine Worte ja zu grob,
Doch von edler Dankbarkeit durchdrungen
Stammelst du dies unbescheid'ne Lob!

Nur erstaunt, so wie aus alter Feindschaft
Gegen das Gewöhnigliche, pries
Ich die übertriebene Befreundtschaft
Dieser beiden Kraftgenies.
Man begreife jetzt, warum die Rede
Alle Augenblick von unsern Zwein,
Daß man spricht vom Schiller und vom Goethe
Wo zwei Deutsche nur versammelt sein!

In einer Späteren Ausgabe erschein noch eine weitere Strophe (zwischen der 6. und der 7.):

Zum Exempel jene Prachtballaden
Von dem frommen Knechte Fridolin,
Von der Bürgschaft vielverschlungnen Pfaden,
Von dem Gotte und der Müllerin;
Ferner jene Xenien, unergründet,
Die der Genius des Jahrhunderts sann,
Wo der Mensch, der solche Bücher findet,
Vor Erstaunen sich nicht helfen kann.


(*) Nach Durchlesung eines schönen Aufsatzes des Pfennigmagazins gedichtet, welches mir durch die Güte Sr. Hochwürden des Herrn Pfarrers einmal geliehen wurde. G. B.

Anmerkung: Ludwig Eichrodt (1827 - 1892) studierte ab 1845 Rechtswissenschaften, Philosophie und Geschichte in Heidelberg und Freiburg und arbeitete anschließend als Gerichtsschreiber an verschiedenen Orten, bis er 1871 zum Bezirksrichter in Lahr ernannt wurde.
In seiner Schulzeit freundete sich Eichrodt mit Viktor von Scheffel (u.a. Alt Heidelberg, du feine) an, eine Freundschaft, die bis zu seinem Lebensende anhielt. Auch mit dem Schriftsteller Theodor Storm, der wie er als Richter tätig war, stand er in regem Briefwechsel.

Zusammen mit seinem Studienkollegen, dem Arzt Adolf Kußmaul, erfand er die Urgestalt des fiktiven schwäbischen Dorflehrers Gottlieb Biedermeier, einen Mann, der in seiner kleinen Stube, seinem engen Garten und mit dem Schicksal eines armen Schulmeisters sein Dasein fristet. Diese Figur gab später einer deutschen Kunst- und Literaturströmung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Namen (Epoche des Biedermeier, zunächst "Biedermaier" geschrieben).

Als Biedermeier wird die Zeitspanne vom Ende des Wiener Kongresses 1815 bis zum Beginn der bürgerlichen Revolution 1848 in den Ländern des Deutschen Bundes bezeichnet. Sie wird oft mit dem Etikett „hausbacken“ oder „konservativ“ versehen. Als typisch gilt die Flucht ins Idyll und ins Private.
Als Vormärz wird die zum selben Zeitabschnitt gehörende entgegengesetzte Bewegung bezeichnet, die eine politisch revolutionäre Veränderung suchte und unter anderem bei Literaten wie Georg Büchner (u.a. Die Nacht) sowie Heinrich Heine. ihren Niederschlag fand.

 

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