GedichtGedichte

Das Gedicht „Weihnacht“ stammt aus der Feder von Ernst von Wildenbruch.

I.

Die Welt wird kalt, die Welt wird stumm,
der Winter-Tod zieht schweigend um;
er zieht das Leilach weiß und dicht
der Erde übers Angesicht -

Schlafe - schlafe

Du breitgewölbte Erdenbrust,
du Stätte aller Lebenslust,
hast Duft genug im Lenz gesprüht,
im Sommer heiß genug geglüht,
nun komme ich, nun bist du mein,
gefesselt nun im engen Schrein -

Schlafe - schlafe

Die Winternacht hängt schwarz und schwer,
ihr Mantel fegt die Erde leer,
die Erde wird ein schweigend Grab,
ein Ton geht zitternd auf und ab:

Sterben - sterben.

Da horch - im totenstillen Wald
was für ein süßer Ton erschallt?
Da sieh - in tiefer dunkler Nacht
was für ein süßes Licht erwacht?
Als wie von Kinderlippen klingt's,
von Ast zu Ast wie Flammen springt's,
vom Himmel kommt's wie Engelsang,
ein Flöten- und Schalmeienklang:

Weihnacht! Weihnacht!

Und siehe - welch ein Wundertraum:
Es wird lebendig Baum an Baum,
der Wald steht auf, der ganze Hain
zieht wandelnd in die Stadt hinein.
Mit grünen Zweigen pocht es an:
«Tut auf, die sel'ge Zeit begann,

Weihnacht! Weihnacht!»

Da gehen Tür und Tore auf,
da kommt der Kinder Jubelhauf,
aus Türen und aus Fenstern bricht
der Kerzen warmes Lebenslicht.
Bezwungen ist die tote Nacht,
zum Leben ist die Lieb' erwacht,
der alte Gott blickt lächelnd drein,
des laßt uns froh und fröhlich sein!

Weihnacht! Weihnacht!

II.

Es tönt herüber – weit her, weit her –
aus der endlosen Zeit eine Wundermär,
wie ein Wipfelwehen, wie ein Lispeln süß
aus dem alten Garten, dem Paradies:

Ein Stern ging auf, wie kein Stern je war,
da wurde die Nacht wie der Tag so klar.
Eine Stimme kam aus des Himmels Höh'n:
»Selig die Augen, die solches sehn!
Selig das Ohr, dem die Stimme erklingt!
Selig alles, was Odem trinkt!
Denn das Wunder der Wunder geschah,
Gott wurde Mensch! Gott ist euch nah!
Der sein Kleid sich webt aus dem Sonnengold,
den der Sternenmantel der Nacht umrollt,
er stieg hernieder aus Macht und Gewalt,
zog an des Menschen Leib und Gestalt,
um selbst zu fühlen in Leib und Geist,
was das Menschenleben auf Erden heißt.«

Da wurde süß das bitter Blut,
alles, was böse, das wurde gut.
Kein Hochmut war, kein Neid der Welt,
nicht mehr herrscht das schlimme Geld,
das Herz des Menschen ging liebenden Schlag,
der Mensch war glücklich für einen Tag,
vom Übel erlöst und vom Leib befreit –
das war Weihnacht, die selige Zeit. –
Weihnacht, du strahlender Weltenbaum!
Weihnacht, du sehnender Gottestraum!

Verklungen die Mär – der Stern ist verblaßt,
wiedergekommen sind Leid und Last.
Gut war böse – Liebe entwich –
Haß und Neid in die Herzen schlich.
Giftig das Blut – in den Adern der Welt
rollend geht um das rollende Geld. –
Sehnsucht schleicht an die Tür und weint,
blickt und blickt, ob kein Stern erscheint,
horcht und horcht, ob kein Laut sich regt,
der Himmelsbotschaft herniederträgt. –
Sehnsucht steht schon viele hundert Jahr,
warten und warten noch immerdar.
Störet die heilige Sehnsucht nicht!

Gott versteht, was sie lautlos spricht.
Einmal erinnert vielleicht er sich noch
seiner Menschheit und neigt sich doch;
einmal vielleicht uns vom Himmel her
einmal, noch einmal die Wundermär:
»Frieden auf Erden! Ende dem Haß!
Freude den Menschen ohn' Unterlaß!
Von euch genommen ist Bosheit und Neid,
zu euch gekommen Glück ohne Leid!
Seligkeit! Seligkeit!
Weihnacht – Weihnacht, die selige Zeit!«

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