GedichtGedichte

Das Gedicht „Novalis“ stammt aus der Feder von Karoline von Günderrode.

I.

Wie Tau auch glänzt in Blumenkelch verhüllt,
Sich nährt von seiner Wiege süßen Düften,
Dann leise ihrer Blätter Nacht entschwillt,
Entführet von des Abends freien Lüften,

So strahlend von des ewgen Feuers Bild,
Ein Perlentau in dunkler Erde Klüften,
Novalis leise ihrem Schoss entquillt;
Gesellt sich zu den freien Himmelslüften.

Sie tragen ihn auf leichtbeschwingten Woogen
Geleiten ihn zu Iris Farbenbogen
Und zu der dunkel glüh'nden Abendröte.

Er badet sich in ihren heil'gen Fluten,
Vergehet wonnig mit in ihren Gluten
Und ernster, heil'ger sieht die Abendröte.

II.

Novalis, deinen heil'gen Seherblicken
Sind aufgeschlossen aller Welten Räume,
Dir offenbart sich weihend das Gemeine,
Du schaust es in prophetischem Entzücken.

Du siehst der Dinge zukunftsvolle Keime
Und zu des Weltalls ewigen Geschicken,
Die gern dem Aug der Menschen sich entrücken,
Wirst Du geführt durch ahndungsvolle Träume.

Du siehst das Recht, das Wahre, Schöne siegen,
Die Zeit sich selbst im Ewigen zernichten
Und Eros ruhend sich dem Weltall fügen:

So hat der Weltgeist liebend sich vertrauet
Und offenbaret in Novalis Dichten,
Und wie Narziß in sich verliebt geschauet.

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